Nore Brand 03 - Racheläuten
beschäftigt?«
Henriette Fink schüttelte stumm den Kopf.
»Gab es etwas außer Dominik?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube, Wilma sieht nur noch Dominik. Sie war ganz verzweifelt, als sie ihn nicht finden konnte. Das hat mir Sorgen gemacht. Es ist doch einfach ein Tier! Wenn es eine Katze wäre, dann könnte ich das noch verstehen. Aber bei einer Schildkröte …«
»Haben Sie Julius gesehen?«, fiel ihr Nore Brand ins Wort.
»Ja, ich habe versucht, mit ihm zu sprechen, aber er weicht mir aus. Ich kann mich täuschen, aber ich glaube, dass er mich nicht mag.«
Nore Brand beugte sich über den Tisch.
»Frau Fink, wer ist der Vater von Wilma?«
Henriette Fink zuckte zusammen und schaute verwirrt. Was sollte dieser Themenwechsel? Sie räusperte sich verlegen und schwieg. »Ich weiß es nicht genau«, sagte sie plötzlich ganz rasch.
Nore Brand presste ihre Lippen zusammen. Was für ein Unsinn!
»Sie haben in der Firma von Oskar Schmied gearbeitet, und ein paar Monate, nachdem Sie die Firma verlassen hatten, kam Wilma auf die Welt.«
Henriette Fink ballte ihre Hände zu Fäusten.
»Ich weiß nicht genau, wer der Vater ist, und ich möchte jetzt gehen«, sagte sie und stand mit einem Ruck auf.
»Das können Sie«, sagte Nore Brand. »Aber ich glaube Ihnen wieder nicht, Frau Fink. Hören Sie endlich auf zu lügen.«
Henriette Fink starrte auf den Boden.
»Weil Sie schweigen, sage ich Ihnen, was ich vermute«, sagte Nore Brand mit leiser Stimme.
Henriette Fink wandte sich zur Tür.
»Sie haben die Männer, mit denen Sie eine Affäre hatten, erpresst. Sie brauchten dringend Geld«, sagte Nore Brand. »Vielleicht hat einer von denen Wilma entführt, damit Sie aufhören damit.«
Henriette Fink drehte sich um. »Nein!«, fuhr sie Nore Brand an, »wie kommen Sie auf diese völlig verrückte Idee!«
Dann hörte sie, wie Henriette Fink die Türe hinter sich zuschlug.
Nore Brand setzte sich an den Küchentisch. Ihr schien auf einmal ganz klar, dass sie sich um Wilma keine großen Sorgen zu machen brauchte. Sie fühlte das so und trotzdem begriff sie es nicht ganz.
Julius war ihr ausgewichen, er wich auch der Mutter von Wilma aus. Er hatte etwas zu verbergen. So musste es doch sein. Julius war so verzweifelt gewesen, als er Wilma vermisste. Und jetzt meldete er sich nicht mehr, er wollte niemandem begegnen, der Wilma suchte. Damit schützte er sie.
Er wusste, wo sie war.
Die Frage war nur, aus welchem Grund sie den Schutz eines Verstecks brauchte.
Nore Brand begann in der Küche zu hantieren. Sie hatte Hunger. Aber Kaffee half besser beim Denken als eine Mahlzeit.
Warum versteckte sich Wilma? Wovor oder vor wem schützte sie sich?
Das konnten die richtigen Fragen sein.
Wenn sie sich bloß nicht täuschte!
Doch mit der Fahndung konnte sie zuwarten. Diese Geschichte lief in eine ganze andere Richtung, als sie zu Beginn vermutet hatte.
Sie hatte Henriette mit der Unterstellung, dass sie die Männer, mit denen sie ihre Affären hatte, erpresste, in die Flucht getrieben.
Volltreffer. Doch es hatte nichts gebracht.
Der Espressokocher begann endlich zu zischen.
»Nore, ich kann hier einfach nicht in Ruhe arbeiten!«
Jacques stand im Türrahmen.
»Dauernd ist etwas los. Das Telefon, die Türklingel, und dann sitzen wildfremde Menschen stundenlang in der Küche, weil sie unbedingt mit dir sprechen wollen … und ich habe einen Termin für meinen großen Artikel!«
Nore Brand drehte sich zu ihm um.
Jacques sah aus wie der Mensch gewordene Vorwurf.
Sie blieb einen Moment sprachlos stehen.
»Jacques, ich lebe und arbeite hier.«
»Ja, du, aber ich kann hier nicht arbeiten, ich kann es einfach nicht!«, rief er und verwarf die Hände.
»Das tut mir leid«, sagte sie und ging an ihm vorbei auf den Balkon.
Es war mild draußen. Es war ein merkwürdig milder Herbstabend, sie erinnerte sich, dass die Wettervorhersage am Morgen warme Luft aus der Sahara gemeldet hatte. Wie war es möglich, dass diese Luftmassen den Weg über die Alpen fanden.
Wo immer Wilma steckte, erfrieren würde sie nicht.
Nore Brand holte die Zigaretten aus der Küche.
Es war still im Quartier, nur aus ihrem Wohnzimmer ertönte Tastenklappern.
Sie saß ratlos da.
Plötzlich kam ihr zu Bewusstsein, dass das Klappern aufgehört hatte. Die Balkontür quietschte leise hinter ihr.
»Störe ich dich?«, fragte Jacques leise.
»Nein, warum denn?«, sie schob ihre Zigaretten über den Tisch.
»Danke«, sagte er ergeben und
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