Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (German Edition)
nach.
Folgenlos bleiben auch die spektakulären Verhaftungen oder Todesfälle hochrangiger Drogenbosse, um die in den Medien immer viel Wirbel gemacht wird: Auf die Lieferbarkeit von Drogen hat es keine Auswirkungen, es löst aber eine vorwiegend negative Kaskade von Begleiterscheinungen aus, die eine Folge der unausbleiblichen, erbitterten Revierkämpfe sind. Das Resultat sind mehr Tote und mehr Korruption, nicht weniger Drogenkonsum. Der Drogenhandel ist extrem gut organisiert und ein durchrationalisiertes Geschäft – wie man es von jedem großen, ungeheuer profitablen, multinationalen Unternehmen erwarten kann. Er hält sich an ähnliche Geschäftsmodelle und Konzernstrukturen wie seine Konkurrenz, die legale Drogenindustrie. Der Erfolg von Unternehmen wie Pfizer, Lilly oder Jansen hängt ja nicht vom jeweiligen Geschäftsführer ab, sondern es sind die feststehenden Aufbau- und Ablauforganisationen, die Geschäftsentscheidungen treffen und für Kontinuität und stetig fließende Renditen sorgen – egal, wer jeweils der oberste Boss ist. Das illegale Drogengeschäft ist gewalttätiger (und eine Spur skrupelloser), aber seine administrativen Strukturen sind, was die langfristige Gewinnerzielung betrifft, nicht weniger effizient. Wird dem Kartell ein Kopf abgeschlagen, sind die Folgen für den Rest der Hydra nicht weiter tragisch, denn sie ist unverwüstlich, kreativ und kompetent, und nie fehlt es an zunehmend rabiaten Thronprätendenten.
Was die Drogenbekämpfung hauptsächlich bewirkt hat, ist die unvorstellbare Bereicherung der Drogenkartelle. Damit verfügen sie über die Möglichkeiten und die Motivation, um sich gegenseitig und der jeweiligen Regierung ein militärisches und politisches Wettrüsten zu liefern, Funktionäre mit Gold zu kaufen beziehungsweise mit Blei zu nötigen und Länder, die nicht mithalten können, zu destabilisieren, indem sie de facto einen permanenten Bürgerkrieg anzetteln. 3 Das Experiment wurde mehrfach durchgeführt, das Ergebnis ist immer das gleiche, wir sollten es endlich akzeptieren. Der in den USA 1972 sogar offiziell erklärte War on Drugs , der »Krieg gegen Drogen«, wurde geführt und verloren, und er wird auch in Zukunft verloren werden.
Statt weiter aussichtslose Kriege zu führen, müssen wir uns der Einsicht beugen, dass der Missbrauch legaler Drogen inzwischen ein größeres Problem für das Gesundheitswesen ist als die illegalen Drogen. Dass allein in den USA 7 Prozent der Bevölkerung medikamentensüchtig sind und mehr Menschen an einer Medikamentenüberdosis sterben als an Drogen, ist nicht akzeptabel. 4 Diese ganz legalen Drogen, wie sie von den Eli Lillys und Pfizers vertrieben werden, sind, wenn des Guten zu viel getan wird, gefährlicher als die von Dealern vertriebenen illegalen Produkte. Dieses bemerkenswerte Paradoxon hat die Politik bisher nicht zur Kenntnis genommen. Für den Krieg gegen illegale Drogen, der nicht zu gewinnen ist, geben wir ein Vermögen aus, aber gegen den Medikamentenmissbrauch machen wir keinen Finger krumm. 5
Die gute Nachricht ist, dass die Bosse des legalen Drogenhandels im Unterschied zu ihren illegalen Kollegen juristisch durchaus angreifbar sind. Sie wären leicht zu zügeln, wenn wir den politischen Willen dazu hätten. Lilly, AstraZeneca, Jansen, Abbott, Purdue und all die anderen haben gegenüber den Sinaloa-, Tijuana- und Juarez-Kartellen den enormen Vorteil, dass sie innerhalb der Legalität operieren und gesetzlichen Schutz genießen. Sie können ihre Waren in Fernsehen, Internet und Presse öffentlich bewerben (d. h. »puschen«); 6 sie können sie über Ärzte und Apotheken billig vertreiben, können Politiker über Lobbyismus und Parteispenden legal kaufen 7 und müssen nicht fürchten, von der Polizei verhaftet oder von Konkurrenten ermordet zu werden. Aber dass sie innerhalb des Gesetzes stehen, ist zugleich ihre Schwachstelle. Denn Gesetze können sich ändern: Von einem Tag auf den anderen könnte es ein Gesetz geben, das ihre fragwürdigen Praktiken verbietet und ihren schlimmsten Verwüstungen ein Ende macht.
Die pharmainduzierte diagnostische Inflation zu beheben ist keine hohe Kunst und erfordert keine raffinierten Winkelzüge in der Gesetzgebung, der Rechtsprechung, der Überwachung. Was getan werden muss, liegt klar auf der Hand und ist ganz leicht umzusetzen. Aber der erste Schritt muss sein, dass Politiker zu den finanziellen Verlockungen der großen Pharmakonzerne einfach Nein
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