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Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (German Edition)

Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (German Edition)

Titel: Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allen Frances
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Frau und sein Arzt sich einig waren, es einmal ohne Lithium zu probieren, denn einerseits war die Phase ohne Zwischenfälle wirklich lang gewesen und andererseits schien die Medizin seine Persönlichkeit zu dämpfen. Der Versuch scheiterte. »Innerhalb von drei Monaten war ich wieder hypomanisch und begriff, dass ich lebenslang Medikamente nehmen muss. Wir stellten auf einen anderen Stimmungsstabilisator um, der mir in den letzten siebzehn Jahren bestens bekommen ist. Anfällig werde ich wohl immer sein, aber die Medizin macht mich stabiler.«
    Mit fünfundsechzig schied Bill als Stadtplaner aus dem Dienst, um einen neuen Beruf zu ergreifen. »Und jetzt bin ich Psychotherapeut in der Ausbildung und habe fünfzehn Patienten, von denen es den meisten in meiner Behandlung gut geht.«
    Susans Geschichte: Umgang mit Panikstörung und Agoraphobie
    Susan, 35-jährig, ist Betreuerin, ehrenamtliche Helferin, Schriftstellerin und, wie sie selbst sagt, Sammlerin von Uniabschlüssen. Mit zwanzig war sie eine Collegestudentin mit strahlender Zukunft, ein gesellschaftlicher Schmetterling mit sehr großem Freundeskreis. Aber auf einmal, aus dem Nichts heraus und ohne erkennbaren Grund, wurde ihr das Leben zur Hölle: Sie taumelte von einer Panikattacke in die nächste und stand unter dem dauernden Zwang, alles zu vermeiden, was eine Panik auslösen könnte.
    »Der erste Anfall kam aus heiterem Himmel. Ich wollte mit Freunden ins Kino und hatte auf einmal sonderbare Vorstellungen, wie mir im Kino schlecht wurde oder wie ich vor aller Augen durchdrehte. Ich kriegte keine Luft, mein Herz raste, und mir wurde schrecklich schwindlig. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los war, und dachte entsetzt, ich werde verrückt.«
    Die Attacken kamen immer häufiger und traten auf, wenn Susan ins Kino wollte, zum Essen, zu einer Party – zu irgendeinem gesellschaftlichen Ereignis oder Ort, an dem es, falls die Panik sie überfiele, nicht ohne Weiteres ein Entrinnen gäbe. »Allmählich wurde die Liste der Dinge, die ich vermied, immer länger, bis ich zur totalen Stubenhockerin geworden war und die Wohnung nur noch verließ, wenn es wirklich nicht anders ging, und auch dann nur mit einer Freundin. Ich wollte vor allem sterben.«
    Nach acht Jahren, einundzwanzig Allgemeinärzten, Dutzenden verschiedener Medikamente und viel zu vielen MRT s und anderen Untersuchungen hatte Susan noch immer keine Antwort. Ärzte ohne psychiatrische Ausbildung übersehen Panikstörungen häufig, weil sie nicht wissen, dass die körperlichen Symptome durch Hyperventilation verursacht sind. Dies führt zu überflüssigen Untersuchungen und aggressiven Behandlungen eingebildeter körperlicher Leiden.
    Am Ende ihres Lateins angelangt, suchte Susan schließlich einen Psychiater auf, Dr.   S. Eine Stunde später kannte sie die Ursache ihrer körperlichen Symptome und konnte diese kontrollieren, indem sie bewusst und langsam atmete. Ihre Welt hellte sich auf, als Dr.   S. ihr versicherte, es werde ihr auf jeden Fall bald besser gehen. Er hatte recht. Susan nutzte ihre Therapie, um ihre Ängste nach und nach zu besiegen und wieder zur Regisseurin ihres Lebens zu werden. »Jetzt gehe ich mit Freunden aus, bewege mich durch Einkaufszentren, gehe ins Kino, fahre mit öffentlichen Verkehrsmitteln und tue alles, was ich will, auch auf eigene Faust. Es geht immer besser, und ich setze mir jedes Jahr realistische Ziele. Die Agoraphobie flammt hin und wieder noch einmal auf, wenn ich unter großem Stress stehe, aber weil ich jetzt weiß, was passiert, sind solche Attacken kurz, und ich weiß auch, wie ich sie überstehe. Ich liebe mein Leben und möchte andere an meinen Erfahrungen teilhaben lassen, damit sie nicht unnötig lang leiden wie ich.«
    Paul und Janet: Überwindung einer PTBS
    Der Wagen schlitterte unkontrollierbar und krachte gegen einen Baum, der 15-jährige Max war sofort tot. Die Familientragödie ereignete sich auf einer schneeglatten Bergstraße während eines Skiurlaubs in der Schweiz. Max hatte vorn gesessen, weil ihm beim Autofahren oft schlecht wurde. Seine Eltern und seine Schwester Annie waren schwer verletzt, überlebten aber und waren innerhalb weniger Monate zumindest körperlich wiederhergestellt.
    Aber seelisch kamen Paul und Janet nicht über den Unfall hinweg. Sie sprachen nie darüber. Max’ Zimmer blieb in demselben Chaos erhalten, in dem er es verlassen hatte, ein Altar seines Todes – kein Fetzen Papier kam weg, kein Schuh, keine Baseballmütze

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