Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (German Edition)
Beklommenheit in der Magengrube«, die sie weder in ihren wachen Stunden noch in ihrem unruhigen Schlaf je verließ. »Je tiefer ich sank, desto mehr sehnte ich mich nach dem Tod. Eines Tages kroch ich in der Waschküche über den Boden und betete darum zu sterben. Not lehrt beten, sagt ein Sprichwort. Das mag wohl stimmen, aber ich betete nicht um Heilung, sondern um ein Ende.«
Roberta fand eine verständnisvolle Therapeutin, die korrekt eine Depression diagnostizierte. »Aber sie schien das Ausmaß meines Elends nicht zu begreifen. Ich brauchte jemanden, der gewillt war, nicht nur zu reden, sondern zu HANDELN , sofort!« Die Situation wurde alarmierend. »Inzwischen war ich wirklich bereit zum Selbstmord. Die Tage überstand ich nur, weil ich mir sagte, nach der Arbeit kann ich nach Hause gehen und mich mit einer Überdosis meiner diversen Herzmedikamente umbringen. Das stimmte mich irgendwie friedlich – das Wissen, dass ich das Elend jederzeit beenden konnte, wenn es nicht mehr anders ging. Das Einzige, was mich am Leben hielt, waren meine Tiere und der Gedanke, dass sie aufgeschmissen wären, wenn ich nicht mehr da wäre. Leben oder Tod war eine Frage, die ich jeden Tag neu entschied. Freunde scharten sich um mich und unterstützten mich ganz großartig. Dennoch ließ die Depression nicht nach, und das Gefühl der völligen Isolation wurde sogar noch schlimmer. Ich dachte, ich werde nie mehr gesund.«
Robertas Geschichte ging gut aus. Eine Freundin, die ebenfalls Depressionen hatte, überredete sie, zu einer Ärztin zu gehen. »Sie verschrieb mir ein Antidepressivum und sagte, es dauere ein paar Wochen, bis man etwas spüre, aber sie versicherte mir, dass es dann auf jeden Fall besser werde.« Acht Wochen, vier Arzttermine und drei Dosiserhöhungen später begann Roberta tatsächlich eine Besserung zu spüren, und bald hatte sie sich vollständig erholt. »Eines Tages machte ich während einer Schulkonferenz eine klugscheißerische Bemerkung zu einer befreundeten Kollegin neben mir, und sie sagte: ›Ah, du bist wieder da!‹ Das stimmte. Ich konnte wieder lachen und lächeln. Mein Appetit nach Essen und Leben kehrte zurück, und dieses beklommene Gefühl im Magen war weg. Ich konnte die Welt wieder objektiv betrachten und Zukunftspläne schmieden. Im Rückblick würde ich sagen, dass es die Kombination aus meinen Tieren, liebevollen Freunden und den Medikamenten war, die mich in die Normalität zurückgeholt hat. Ich habe mein Leben wieder und bin unendlich dankbar. Ich fürchte nur, dass diese Depression eines Tages aus irgendeinem Grund wiederkommen könnte. Ich will so was nie mehr erleben. Aber das nächste Mal weiß ich wenigstens, was ich tun muss.«
Bills Geschichte: Stimmungsschwankungen unter Kontrolle halten
Bill hat eine bipolare Störung und war dennoch fünfunddreißig Jahre lang erfolgreicher Stadtplaner. Mit neunundzwanzig war Bill ganz oben; er war Projektmanager und betreute ein umfassendes Stadterneuerungsvorhaben – total anstrengend, aber sein Traumjob, wie er sagte. Dann kam der jähe Absturz – die Finanzierung wurde radikal zurückgefahren, seine Stelle wurde gestrichen, und »meine hypomanischen Energien schlugen in Depression um«. Er wurde medikamentös und psychotherapeutisch behandelt, bekam einen neuen Job, und sechs Jahre lang ging alles gut, ohne dass er Medikamente brauchte.
Bills zweite Depression kam ohne äußeren Anlass und war viel gefährlicher. »Ich schleppte mich zur Arbeit, aber ich war lustlos, hoffnungslos, unkonzentriert und äußerst lebensmüde. Als schon eine stationäre Aufnahme ins Krankenhaus samt Elektroschocktherapie geplant war, fingen zum Glück die Antidepressiva zu wirken an, gerade noch rechtzeitig, und die Depression verzog sich. Dann flippte ich in der entgegengesetzten Richtung aus und hatte eine voll aufgeblühte manische Phase, meine Gedanken rasten, ich entwickelte großartige Pläne für zahllose unrealisierbare Projekte, hatte bizarre Ideen. Ich dachte, alle beobachten mich und melden mich der Polizei oder dem FBI . Und ich tat seltsame Dinge – zum Beispiel kaufte ich dreißig tonnenschwere Bildbände über das Universum und die Geschichte der Menschheit, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ich sie weder nach Hause tragen noch jemals ganz lesen konnte, weil sie einfach viel zu gewaltig waren. Zum Glück wirkte Lithium, und ich war bald wieder im Lot.«
Während der nächsten fünfzehn Jahre blieb Bill stabil, bis er, seine
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