Nosferas
merkte gleich, dass sich die Qualen verstärkten. Es war ein Gefühl, als würden Geist und Körper langsam aufgelöst. Alisa warf einen Blick zu den Dracas hinüber. Es befriedigte sie, dass der Wiener Clan sich eng in einer Ecke zusammendrängte. Der überhebliche Ausdruck war aus Franz Leopolds Gesicht gewichen. Auch die groben Gesichter der Pyras aus Paris waren von Pein verzerrt. Die Gäste aus London dagegen bemühten sich recht erfolgreich um Haltung. Alisa betrachtete den ältesten der vier englischen Schüler, der ihr schon in der Halle mit der goldenen Decke aufgefallen war. Malcolms Miene war auch angespannt, doch er stand aufrecht und hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Er wirkte männlich und stark.
Luciano und Chiara dagegen waren offensichtlich entspannt, obwohl sie mit dem dritten römischen Schüler Maurizio ganz in der Nähe der verhüllten Objekte standen. Ein dicker schwarzer Kater strich um Maurizios Beine und miaute. Ein Stück weiter hinten saß der altehrwürdige Giuseppe auf seinem gepolsterten Sessel, den ihm vermutlich sein sogenannter Schatten, der jetzt reglos hinter seinem Herrn stand, aus der Halle getragen hatte. Der Alte winkte mit seinen knochigen Fingern, bis Conte Claudio zu ihm trat und sich zu ihm herunterbeugte. Er nickte, als sein Großvater sein Anliegen vorgetragen hatte, richtete sich wieder auf und trat in die Mitte des Hofes. Er rieb die Hände mit den kurzen, dicken Fingern vor der heute violett gewandeten Brust und ließ den Blick über die Versammelten schweifen.
»Noch einmal willkommen in unserer Domus Aurea. Tretet doch näher!«, forderte er die Gäste auf, doch keiner rührte sich vom Fleck. Die beiden vierschrötigen Männer, die bei den Kindern aus Paris standen, bleckten die Zähne und fauchten. Conte Claudio lachte und zwinkerte ihnen zu.
»Da wir uns bei unserem Treffen in Chillon weder auf einen Ort noch auf einen Schulleiter einigen konnten, haben wir festgelegt, dass unsere Erben jedes Jahr bei einer anderen Familie unterrichtet werden, um die Möglichkeit zu erhalten, sich deren spezielle Fähigkeiten anzueignen. Das Los hat entschieden, dass das erste Schuljahr in Rom unter meiner Führung stattfinden wird.«
Baron Maximilian schnaubte verächtlich, und seine Schwester sagte vernehmlich: »Wie bedauerlich, dass unsere Kinder gleich ihr erstes Jahr so verschwenden müssen.«
Trotz der Beleidigung lächelte der römische Vampir noch breiter. »Verschwendung? Ah, meine Lieben, das tut mir aber leid. Darf ich Euch einladen, näher zu treten? Ihr sollt die besten Plätze bei unserer kleinen Vorstellung haben!« Er hielt einen Moment inne, doch die Dracas rührten sich nicht von der Stelle. Der Conte zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder an alle. »Was könnt ihr jungen Vampire hier bei uns lernen?«
»Wie man sich den Wanst vollfrisst?«, spottete Tammo so leise, dass der Conte es nicht hören konnte. Seine Schwester versetzte ihm einen Rippenstoß.
»Etwas, was eure Kräfte stärkt, eure Macht vergrößert und eure Feinde ihrer gefährlichsten Abwehrzauber beraubt!«, rief Conte Claudio und warf theatralisch die Arme in die Luft. »Fangen wir an!«
Zwei Servienten traten heran, entfernten das Tuch von dem größten Gegenstand im Hof und enthüllten einen quaderförmigen Steinblock.
»Sehr beeindruckend«, spottete Franz Leopold, doch in seiner Stimme schwang Unsicherheit. Der Baron und die Baronesse zeigten die Zähne. Jemand stöhnte.
»Ist das etwa ein Altar?«, fragte Dame Elina.
Conte Claudio nickte strahlend. »Oh ja, ein geweihter Altar aus einer Kirche hier ganz in der Nähe. Ich habe ihn von zwei unserer Schatten herbringen lassen.«
»Ihr wollt uns damit sagen, dass Eure Unreinen nicht nur diese Kirche betreten, sondern dass sie auch noch einen geweihten Altar daraus entwenden konnten?« Ihre sonst so kühle Stimme überschlug sich fast.
Als Conte Claudio nickte, erhob sich Gemurmel unter den Vampiren. »Aber ja«, sagte er stolz und legte die flache Hand auf die polierte Steinoberfläche, ohne das leiseste Anzeichen von Unwohlsein.
»Da ist sicher ein Trick dabei«, vermutete Tammo. »Das kann der gar nicht können!«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Alisa. »Vielleicht ja doch.«
Als das Geflüster verebbte, fuhr der Conte fort. »Das war nur der Anfang.« Er winkte die streng aussehende Vampirin zu sich, die Alisa bereits gestern in ihrer Schlafkammer gesehen hatte.
»Dies ist die geschätzte Professoressa Enrica,
Weitere Kostenlose Bücher