Nosferas
die unsere Schüler in römischer Geschichte und der Historie der frühen Christen unterweisen wird. Durch ihre Studien gerade dieser Frühgeschichte ist sie zur Meisterin im Kampf gegen die Kräfte der Kirche geworden.«
Signora Enrica trat zu einem Gegenstand, der ihr bis über das Knie reichte. Sie hob ihn hoch und zog das Tuch herunter. Das Raunen wollte gar kein Ende nehmen.
»Ein Kruzifix«, stöhnten einige. Baronesse Antonia fächelte sich mit ihrem Fächer hektisch Luft zu und die Wiener Schüler schienen noch blasser als gewöhnlich. Auch Alisa konnte ein Keuchen nicht unterdrücken und presste sich beide Hände auf die schmerzende Brust. Ihr Kopf schien in tausend Stücke zerplatzen zu wollen. Sie musste den Blick abwenden.
»Das gibt es doch nicht«, stöhnte Tammo, der sich neben ihr auf den Boden kauerte. Auch Sören wirkte verstört und duckte sich hinter Hindrik. Alisa warf Dame Elina einen Blick zu. Sie hielt sich noch immer gerade, doch es war ihr anzusehen, wie viel Selbstbeherrschung sie das kostete.
Fast lässig legte Signora Enrica das Kruzifix auf den Altar und holte ein kleines Gefäß hervor. Es war aus Gold und Silber gearbeitet und prunkvoll mit Edelsteinen verziert. Vermutlich hatten sie es ebenfalls aus einer Kirche entwendet. Sie hob den Kelch hoch und neigte ihn so, dass ein wenig Flüssigkeit in ihre linke Handfläche tropfte. Es zischte und dampfte, doch als sie den Gästen ihre Handfläche zeigte, war diese unversehrt.
»Weihwasser!« Das Wort flog ehrfurchtsvoll von Mund zu Mund.
»Ihr kennt nun die Meisterin. Nun möchte ich euch den Meister in der Abwehr kirchlicher Kräfte vorstellen: Professore Ruguccio.«
Ein großer, massiger Mann in einem eleganten Abendanzug trat vor. Seine glänzenden Lackschuhe quietschten bei jedem Schritt. Er hob das letzte Tuch hoch und nahm ein kleines, würfelförmiges Kästchen in die Hand, ebenfalls eine kunstvolle Goldschmiedearbeit. Er machte den Deckel auf und nahm etwas Farbloses, Flaches heraus. Als er es hochstreckte, damit es alle sehen konnten, schrien einige der Gäste auf. »Eine Hostie!« Eine Welle der Panik schwappte durch den Hof.
»Das ist nie und nimmer eine echte Hostie«, rief die Baronesse.
»Nein?«, erwiderte Signor Ruguccio mit tiefer, dröhnender Stimme. »Ihr könnt sie gern aus der Nähe betrachten.« Sie kreischte auf, als er näher trat, und schlug die Hände vors Gesicht.
»Ach, Ihr glaubt mir nun? Schön.« Und unter den entsetzten Blicken der Gäste schob er sie sich in den Mund.
Baronesse Antonia bekam einen Schreikrampf. Die Aufregung legte sich erst, als Conte Claudio ein paar seiner Schatten befahl, die heiligen Gegenstände zu entfernen, und diese nicht mehr zu sehen waren.
»Ich bitte um Ruhe!« Er wartete noch einige Augenblicke, bis sich die Gäste beruhigt hatten, dann sprach er weiter. »Nun, ich denke, wir konnten die Zweifel zerstreuen, die einige von Euch hegten. Unseren Schülern steht ein arbeitsreiches und sicher oft auch schmerzhaftes Jahr bevor, doch wenn es zu Ende geht und sie für den Sommer zurück zu ihren Familien fahren, werden sie gelernt haben, sich gegen die Mächte der Kirche zur Wehr zu setzen.«
Er sah in die Runde. Alisa folgte seinem Blick. Sie erkannte Zweifel und Ablehnung, aber auch Begeisterung und das Aufkeimen von Hoffnung. Auch in ihr herrschte ein Widerstreit an Gefühlen. Wenn das möglich wäre! Sie kannte die Geschichten, die den jungen Vampiren auf der Wandrahminsel erzählt wurden. Viele Mitglieder ihrer Familie waren im Lauf der vergangenen Jahrhunderte von Vampirjägern zur Strecke gebracht worden. Mit Kreuzen, Weihwasser und Hostien hatten die Menschen sie eingekreist und dann vernichtet. Nun würden sie lernen, sich zu wehren! Erstaunlich, dass gerade die Nosferas einen Weg gefunden hatten, in einer Stadt, die die Päpste bis vor wenigen Jahren wie Kaiser regiert hatten und in der es Hunderte von Kirchen gab.
Conte Claudio beendete seine Rede und neigte dann den Kopf, um die Versammlung aufzuheben. »Und nun lade ich meine verehrten Gäste auf einen nächtlichen Bummel durch Rom ein. Lernt unsere Wunder - und unsere süßen Spezialitäten kennen!« Mit wachsamen Augen verfolgte er die Grüppchen, die den Familienmitgliedern der Nosferas zu dem nachts stets bewachten Hauptausgang folgten. Nur die jungen Vampire und einige der Servienten mussten zurückbleiben.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Tammo und sah Sören an. Alisa wollte gar nicht wissen, ob
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