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Nosferas

Nosferas

Titel: Nosferas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Gehen nicht auch Eure Altehrwürdigen irgendwann freiwillig, weil sie ihres Daseins überdrüssig geworden sind? Manche früher, manche später. Wir müssen das erst nachprüfen.«
    »Das ist Unsinn! Lenkt nicht ab. Ihr versucht, uns Sand in die Augen zu streuen! Er soll freiwillig gegangen sein? In seinem Alter? Das ist Unsinn! Es muss ein Angriff gewesen sein! Wie  könnt Ihr annehmen, dass wir das Wertvollste, was wir haben, unsere letzten Nachkommen, hier in Eurer Obhut lassen, wenn wir fürchten müssen, dass sie einem Vampirjäger zum Opfer fallen könnten?« Die Baronesse kreischte nun fast.
    »Macht Euch keine Sorgen, Eure Kinder sind bei uns in Sicherheit«, erwiderte Conte Claudio. »Wir haben die Situation unter Kontrolle.«
    »Ach ja? Ich glaube eher, Ihr wollt nicht zulassen, dass die Macht, die das Los Euch in die Hände gespielt hat, Euch nun zu Recht wieder genommen wird. Ich habe gleich gefordert, dass die Akademie in Wien sein muss, und das aus gutem Grund. Bei uns hätten unsere Erben die besten Voraussetzungen!«
    Bei dem Gedanken, Franz Leopolds Familie ausgeliefert zu sein, lief Alisa ein eisiger Schauder über den Rücken. Nur das nicht!
    »Ich werde meine Forderung heute Abend vor den anderen Clanführern wiederholen, und ich sage Euch, Claudio, ich lasse nicht eher locker, bis alle Schüler auf dem Weg nach Wien sind!« Ihre Röcke rauschten. Alisa konnte sich gerade noch rechtzeitig in eine leere Kammer verdrücken, als die Baronesse bereits mit wogender Krinoline den Gang entlang davonstürmte.
    Conte Claudio knirschte mit den Zähnen. »Wir werden dieses Schuljahr hier in der Domus Aurea abhalten, so wie wir es in Chillon entschieden haben, und dann werden die Schüler nach Irland reisen.« Nun konnte Alisa die unterdrückte Wut des Römers spüren.
    »Abwarten. Das letzte Wort in dieser Sache ist noch nicht gesprochen«, entgegnete der Baron. Dann folgte er seiner Schwester und ließ Conte Claudio allein zurück. Alisa hörte ihn seufzen und dann das Knarren eines Stuhles, als er seinen massigen Körper in die Polster fallen ließ.
    Tief in Gedanken ging sie zurück zu den Unterkünften der Schüler. Ein paar der anderen hatten sich nun im Gemeinschaftsraum zusammengefunden und saßen in den Polstersesseln. Alisa  war jedoch nicht nach einer Unterhaltung zumute. Mit wem konnte sie über das sprechen, was sie beunruhigte? So zog sie sich in ihren Schlafraum zurück, klappte den Deckel ihrer Reisekiste auf und nahm den Stapel alter Zeitungen heraus, den sie mit nach Rom gebracht hatte. Es beruhigte sie, die Blätter aufzuschlagen und die knisternden Seiten zu wenden. Es half ihr, nachzudenken. Während ihre Augen über die Artikel huschten, die sich mit Glück und Unglück der Menschen befassten, wanderten ihre Gedanken zu den Worten zurück, die sie gehört hatte. Sie ahnte, dass es um mehr ging als um einen Altehrwürdigen, der seines Vampirdaseins müde geworden war und sich entschlossen hatte, es nun zu beenden.
     

IVY-MÁIRE
    Das Mädchen langweilte sich. Sie hatte sich in den abgewetzten Sessel geworfen und trommelte ungeduldig mit den Schuhspitzen auf den verblassten Teppich. Ihr Blick wanderte wieder einmal zu der alten Standuhr in der Ecke. Es waren erst fünf Minuten vergangen, seit sie das letzte Mal hingesehen hatte. Latona stieß einen langen Seufzer aus, doch es war niemand da, der davon Notiz hätte nehmen können. Wie lange würde das noch dauern? Die Nacht schritt voran, doch Latona fühlte keine Müdigkeit. In ihr Bett zu gehen, war nicht einmal einen flüchtigen Gedanken wert, solange der Onkel sich draußen herumtrieb. Im finsteren, gefährlichen Rom!
    Latona sprang auf und begann, unruhig auf und ab zu gehen. Immer wieder fiel ihr Blick in den Spiegel, der über der Kommode hing. Sie blieb stehen. Die schon etwas trübe Spiegelfläche warf das Bild einer nur mittelgroßen Gestalt zurück, schlank, ja fast ein wenig hager. Das lange dunkle Haar löste sich bereits wieder aus dem nachlässig aufgesteckten Knoten. Die Wangenknochen traten deutlich hervor und die rehbraunen Augen blickten ernst. Sie war nicht wirklich schön zu nennen, leider, musste Latona wieder einmal feststellen. Nicht so wie die anderen Mädchen, mit denen sie einst die Töchterschule besucht hatte und die nun bald von ihren Familien für den Brautmarkt herausgeputzt und auf Gartenfesten und Bällen präsentiert werden würden. Dafür wirkte sie älter als die vierzehn Jahre, die sie bereits erlebt

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