Nosferas
sagte Karl Philipp, der dem Blick seines Cousins gefolgt war.
Fernand grinste bloß und zeigte dabei einen abgeschlagenen Schneidezahn. »Wir wohnen in einem Labyrinth aus Gängen und Kammern unter der Stadt. Ihr würdet euch wundern, wie ungeheuer groß es ist.« Damit schien das Thema für ihn beendet. Er beugte sich über seinen Sarg und pfiff leise durch die Zahnlücke. Es raschelte, dann lief eine gut genährte Ratte an seinem Ärmel hinauf und setzte sich auf seine Schulter. Er streichelte ihr über den Rücken.
»Ah, du hast dir dein Frühstück schon selbst besorgt«, ätzte Franz Leopold. »Das ist ja ekelhaft!«
Fernand schüttelte heftig den Kopf. »Nein, sie ist meine Begleiterin, die ich überallhin mitnehme!«
»Wo sind wir hier nur hingeraten«, stöhnte Franz Leopold, während er sich von Matthias in seine perfekt geschnittene Frackjacke helfen ließ. Hocherhobenen Hauptes verließ er die Schlafkammer.
»Nein, wartet, bevor ihr euch setzt!«, rief Signora Enrica und hob die Arme. Sie trug wieder ihr einfaches dunkles Kleid und hatte das Haar zu einem strengen Knoten gebunden.
Die Schüler, die sich in kleinen Grüppchen zu den Zweierbänken begeben hatten, hielten inne. Vorne saßen bereits die vier Londoner der Vyradfamilie, während sich Luciano und die anderen beiden aus Rom gleich in die hintersten Bänke verdrücken wollten. Gelangweilt blieb Franz Leopold neben der Tür stehen. Das Klassenzimmer befand sich in einem nahezu quadratischen Saal, dessen etwas schmalere Seiten eine Doppelreihe Säulen schmückte. In der Mitte schien zu einem späteren Zeitpunkt eine Mauer eingezogen und dann wieder herausgeschlagen worden zu sein. Durch eine Tür fiel der Blick in ein Nymphäum mit einem großen Wasserbecken, um das einige Statuen versammelt waren.
»Da wir in dieser Akademie von unseren jeweiligen Fähigkeiten und Stärken lernen wollen, statt uns weiter zu bekämpfen, möchten wir, dass sich immer Angehörige verschiedener Familien eine Bank teilen. Also, sucht euch nun eure Plätze aus.«
Franz Leopold beobachtete Luciano, wie er auf Alisa zutrat und sich vor ihr verneigte. »Wollen wir uns eine Bank teilen?« Sie lächelte und nickte und die beiden setzten sich an einen Tisch in der Mitte.
Nach und nach fanden sich die Paare zusammen. Chiara rutschte zu dem blonden, gut aussehenden Raymond aus London auf eine der vorderen Bänke. Sein älterer Bruder teilte sich die Nachbarbank mit Anna Christina. Die beiden waren mit ihren sechzehn Jahren die ältesten Schüler. Alisas Bruder Tammo setzte sich neben die vierschrötige Joanne aus Paris. Er hätte sich zu gern in der hinteren Reihe versteckt, aber Signora Enrica winkte die beiden nach vorne in die letzte freie Bank. Tammo seufzte theatralisch und verdrehte die Augen, fügte sich aber in sein Schicksal.
Bald waren fast alle Plätze besetzt. Am unglücklichsten schien Marie Luise, die sich unverhofft neben Fernand wiederfand. Seine Ratte thronte noch immer frech auf seiner Schulter. Das zierliche Wiener Mädchen raffte ihr Seidenkleid zusammen und rutschte so weit von ihrem schmuddeligen Banknachbarn weg wie nur möglich. Am Schluss waren nur noch zwei Bänke frei und die beiden Dracas übrig. Sie setzten sich hinter Alisa und Luciano und Franz Leopold beugte sich vor.
»Ah, unser kleiner Luciano ist schlau und verkriecht sich unter den Röcken seiner Retterin.« Er spähte unter den Tisch der beiden. »Ziemlich zerrissene Röcke, übrigens. Was einen nicht wundert, wenn man deine Statur berücksichtigt. Vielleicht sollte sie sich einen Reifrock zulegen, damit du dich einfacher darunter verstecken kannst.«
Ein Rohrstock zischte knapp an seiner Nase vorbei und schlug mit einem durchdringenden Knall auf die Tischplatte. Franz Leopold zuckte zusammen. Auch ein paar andere Schüler, die mit ihren neuen Banknachbarn getuschelt oder einfach nur vor sich hin gedöst hatten, fuhren erschreckt hoch.
Langsam wanderte sein Blick zu dem weißen Antlitz der Signora, die ihn aus zusammengekniffenen Augen musterte. Sie musste verflucht schnell sein, wenn sie es bis zu seinem Pult schaffte, ohne dass er ihr Kommen bemerkte.
»So, du meinst also, du hättest es nicht nötig, mir zuzuhören?« Ihre Stimme war spröde. »Du bist ein Dracas aus Wien, nicht wahr? Ich habe deine Familie gestern beobachtet. Gerade ihr solltet bei diesem Unterricht besonders gut aufpassen. Ich könnte mir denken, dass eure Bischöfe und Priester in Wien euch
Weitere Kostenlose Bücher