Nosferas
vortrefflich in ihren Klauen halten und euch langsam, aber sicher das Blut herauspressen. Eure Aufgabe ist es zu lernen, wie ihr euch dagegen wehrt! Nur so könnt ihr euren Clan vor dem sicheren Untergang bewahren.«
Sie wandte sich mit einem Ruck ab, sodass ihre Röcke schwangen, und kehrte zum Pult zurück. »Ich hatte eigentlich vorgehabt, euch in die Geschichte Roms einzuführen und von den Anfängen des christlichen Glaubens zu berichten, doch das werde ich vielleicht besser auf morgen verschieben. Fangen wir mit einer praktischen Übung an. Ein Freiwilliger für ein kleines Experiment?« Sie lächelte so breit, dass ihre Eckzähne im Lampenschein glitzerten. Die Schüler sahen einander unsicher an. Endlich hoben Maurizio und Chiara zögernd die Hände.
»Danke, meine Lieben, aber in diesem Fall hätte ich gern einen anderen Kandidaten. Nun Franz Leopold, wie wäre es denn mit dir?« Er erwiderte frostig ihren Blick, der ebenfalls nicht gerade Wärme ausstrahlte. »Komm nach vorn!«
Sollte er sich weigern? Er konnte es in ihren Augen lesen, dass sie gern ein Exempel an ihm statuieren würde. Den Gefallen wollte er ihr nicht tun. Er erhob sich so langsam wie möglich und schlenderte zu ihrem Pult nach vorn. Signora Enrica nahm ein Stück Kreide und malte etwas auf die große Schiefertafel an der Wand. Dann wandte sie sich an Franz Leopold. »Kannst du erkennen, was das ist?«
Er erwog, über ihre kläglichen Malkünste zu spotten, unterließ es dann aber und sagte träge: »Das soll wohl einen Fisch darstellen, Signora.«
Sie nickte und überging den unverschämten Tonfall. »Ja, das ist richtig. Komm her und berühre ihn mit den Fingern.«
Was sollte das? Franz Leopold streckte die Hand aus und verwischte den Schwanz des Fisches. »Ja, und?« Statt zu antworten, trat die Professorin wieder an die Tafel und malte in einem Zug ein Zeichen, das ebenfalls einen Fisch darzustellen schien, jedoch nur aus einer Linie bestand und entfernt an eine verzerrte Acht erinnerte. »Berühre es!«
Franz Leopold hob gelangweilt die Hand. Als er jedoch die Kreidelinie berührte, wich er überrascht zurück. Es war ihm, als würde der Kreidestaub vibrieren. Seine Finger kribbelten.
»Deiner Miene entnehme ich, dass du etwas spürst. Beschreibe es uns«, forderte ihn die Professorin auf. Er war noch zu überrascht, um Widerstand zu leisten.
Ohne eine weitere Erklärung hob Signora Enrica eine kleine Steinplatte mit dem gleichen Zeichen hoch und forderte ihn auf, das Bild zu berühren. Franz Leopold war nun gewarnt und erwartete eine Reaktion. Dennoch zuckte seine Hand zurück, als ein Strahl heißen Schmerzes seinen Arm hinaufschoss, obwohl er noch mehrere Schritte entfernt stand!
»Nun?« Signora Enrica wirkte sehr zufrieden. »Kannst du das erklären?« Franz Leopold schüttelte den Kopf und rieb sich die Fingerspitzen. Sie schickte ihn zu seinem Platz zurück und wandte sich an die Klasse. »Kennt jemand dieses Symbol?«
Langsam hob Luciano die Hand. »Es ist ein Symbol der frühen Christen und bedeutet auf Griechisch irgendetwas, das mit ihrem Glauben zu tun hatte.«
Unser Dickerchen will sich mit seinen kleinen Wissenshäppchen bei der Signora einschmeicheln. Franz Leopold versuchte, seinen Gedanken zur Bank vor ihm zu schicken, und stellte zufrieden fest, dass Luciano ins Stottern kam und dann verstummte. Statt seiner präzisierte Malcolm mit starkem britischen Akzent die Antwort.
»Das griechische Wort für Fisch lautet ichthys, und das haben die frühen Christen als Akrostichon* gelesen: Iesous Christos Theou Yios Soter.«
Signora Enrica nickte. »Ganz genau: Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser. Es war eine Art Glaubensbekenntnis und ein Geheimzeichen. Warum aber konnte Franz Leopold ohne Schwierigkeiten den Fisch auf der Tafel berühren, während er bei der Steinplatte die Macht der Kirche deutlich zu spüren bekam, bevor er überhaupt in ihre Nähe gelangte? - Es war schmerzhaft, nicht wahr?« Sein Nicken zauberte ein Lächeln in ihr herbes Gesicht. Die Schüler sahen einander fragend an. Einige hoben die Schultern.
»Gut, dann eine andere Frage. Wenn ich euch zu verschiedenen Plätzen in Rom führte: eine alte Kirche und eine ganz neue, die gerade erst geweiht wurde, oder zu einem Gebetsraum in den Katakomben der ersten Christen. Was glaubt ihr, welcher Ort würde euch am schlechtesten bekommen?«
»Die neue Kirche?«, schlug Ireen vor.
»Warum?«, fragte die Professorin zurück. Alle sahen die jüngste
Weitere Kostenlose Bücher