Nosferas
friedlich wie auf dem Land, doch bereits hinter dem Ruinenfeld pulsierte das nächtliche Leben der großen Stadt, das niemals vollständig zum Erliegen kam. Auf Menschen hatte er heute keine Lust. Es war so schwer, sich von ihnen fernzuhalten, ihnen zu widerstehen. Sie rochen so köstlich. Malcolm seufzte. Noch ein Jahr musste er warten. Dann endlich würde er ein erwachsenes Mitglied des Clans und durfte mit den anderen auf die Jagd gehen. Die Sehnsucht war so groß, dass er sich schon einbildete, der Duft eines jungen Mädchens würde ihm in die Nase steigen. Wie süß und verlockend! Er wurde stärker und drängender. Das war keine Einbildung! Er erstarrte. Dort hinter den Büschen gewahrte er eine Bewegung. Ein weiter dunkler Mantel, eine Kapuze über dem Kopf. Lautlos huschte Malcolm heran. Er schob die Ermahnungen seiner Vernunft beiseite. Das musste er sich genauer ansehen!
Latona war wütend. Wieder hatte ihr Onkel sich geweigert, sie mitzunehmen. Eine Weile war sie wieder im Zimmer auf und ab geschritten, dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie warf seinen Umhang über und verließ das Haus. Am Kapitolhügel vorbei wanderte sie zu den Ruinenfeldern, die verlassen unter dem Sternenhimmel lagen. Einsam, düster und ein wenig unheimlich war es hier. Latona liebte diesen Schauder des Verbotenen. Im Gehen zog sie die rote Maske aus der Tasche und band sie vors Gesicht. Wie wäre es, wenn sie wirklich in den Zirkel aufgenommen würde? Wäre sie dann in Gefahr? Müsste sie sich dann bei jedem Schritt umsehen, ob kein Feind ihr folgte? Latona blieb stehen und blickte sich um. Bewegte sich dort nicht ein Schatten? Schlich nicht eine düstere Gestalt von einem Busch zum nächsten? Oder waren es nur die Zweige, die sich im Nachtwind bewegten? Ihre Aufregung über das nächtliche Abenteuer wandelte sich in Furcht. Sie wich zu den Überresten einer Mauer zurück. Ihr Herz schlug schneller. Sie musste die Angst besiegen, wenn sie die Gehilfin ihres Onkels werden wollte! Sie versuchte, langsamer zu atmen, und ging mit festen Schritten weiter.
Malcolm kam lautlos näher. Ja, es war ein Menschenmädchen, das sich unter dem altmodischen Mantel verbarg. Und was hatte sie da vor dem Gesicht? Malcolm konnte sich nicht vorstellen, dass die Römer außerhalb der Karnevalszeit Masken trugen. Oder war sie auf dem Weg zu einem Maskenball? Er trat noch einen Schritt näher. Das Mädchen sah sich vorsichtig um. Er konnte ihre Angst spüren. Nein, sie trug eine Hose unter dem Mantel! Kein Ballkleid. Das wurde ja immer merkwürdiger. Was hatte ein Menschenmädchen um diese Zeit hier zu suchen, allein und noch dazu in dieser Aufmachung? Er schob sich noch näher an sie heran. Es war nur Neugier, verteidigte er sich vor seinem mahnenden Gewissen. Vielleicht konnte er mehr über sie und ihren nächtlichen Ausflug erfahren. Er fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Er roch das immer schneller fließende Blut. Er war nur zwei Schritt von ihr entfernt. Ihr Bewusstsein hatte ihn noch nicht wahrgenommen, doch ihr Körper reagierte auf die Gefahr. Sie keuchte leise, fuhr herum und begann zu laufen.
Sie raffte den langen Mantel, um nicht zu straucheln. Ein dürrer Zweig verfing sich in ihrem Haar. In Panik riss sich das Mädchen los und rannte weiter. Sie bemerkte vermutlich gar nicht, dass sich das Band löste und die Maske herabfiel. Sie lief nur auf die Lichter zu und auf das Leben der Stadt, das auf der Piazza Venezia wieder begann.
Malcolm widerstand dem Drang, dem Wild nachzuhetzen und es aufzuhalten. Stattdessen trat er zu dem Busch und bückte sich. Samtig weich lag die rote Maske in seiner Hand. Er hob sie an seine Nase und nahm die Gerüche in sich auf, unter denen er ganz deutlich den Duft des Mädchens wahrnahm.
Franz Leopold rannte, dass seine Füße kaum mehr den Boden berührten. Er hörte das Keuchen des Verfolgers. Der junge Vampir war schnell und wendig, doch diesem Biest war er nicht gewachsen. Er fühlte, wie es anhielt, sich duckte und sprang. Er versuchte, sich zur Seite zu werfen, doch der Wolf war schneller und landete mit allen vier Pfoten auf seinem Rücken. Franz Leopold schlug der Länge nach hin. Sein Gesicht drückte gegen den Boden. Er schmeckte feuchte Erde auf der Zunge. Obwohl er hätte kämpfen und schreien mögen, rührte er sich nicht von der Stelle, denn er fühlte nur allzu deutlich die Reißzähne in seinem Nacken. Dann näherten sich schnelle Schritte.
»Das war ein sauberer Fang«,
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