Nosferas
dessen lang gestreckte Wagenrennbahn man zu ihrer Rechten noch erahnen konnte. Sie passierten die Ruinen der Caracallathermen und folgten dann der antiken Via Appia. Bis zur Stadtmauer säumten Paläste ihren Weg, hinter Mauern und düsteren Zypressen verborgen.
Die Vampire verließen die Stadt durch die Porta San Sebastiano, die nicht mehr bewacht wurde, seit Rom zur Hauptstadt des Königreichs Italien gemacht worden war. Nachdem sie die Aurelianische Mauer hinter sich gelassen hatten, die einst plündernde Germanen von Rom hatte fernhalten sollen, kamen sie an immer weniger Häusern vorbei. Die Via Appia verlief nun schnurgerade nach Süden.
Hindrik und Raphaela huschten lautlos die Straße entlang. Gärten und hin und wieder ein Palazzo flogen vorbei. Kein noch so guter menschlicher Läufer hätte mit ihnen Schritt halten können. Selbst Alisa spürte die Anstrengung und Luciano stöhnte immer lauter. Die ersten Mausoleen tauchten am Wegesrand auf. Viele waren verfallen, doch noch so manche Statue, Inschrift oder Kuppel zeugte davon, wie prächtig die Straße der Toten einst gewesen war, durch die die Herrscher im Triumph nach Rom zogen, wenn sie wieder einmal eine Region erfolgreich unterworfen hatten und mit den geraubten Schätzen und exotischen Sklaven in die Heimat zurückkehrten.
Der Mond war kaum ein Stück weitergewandert, als sie in einem Zypressenhain anhielten. Ein Mensch hätte für diese Strecke sicher viele Stunden gebraucht. Professoressa Enrica erwartete sie bereits und bald trafen auch die anderen ein. Die jungen Vampire scharten sich um die beiden Lehrer.
»Dort drüben befindet sich einer der Zugänge zur Catacombe di San Callisto, eines von vielen Begräbnislabyrinthen der frühen römischen Christen. Sie erstreckt sich in vier Stockwerken über einige Kilometer und ist damit zwar nicht die größte Katakombe, aber für unsere Übungen sicher gut geeignet. Wir gehen zuerst gemeinsam hinunter. Ich erkläre euch, worauf ihr achten sollt. Und dann machen wir eine Orientierungs- und Spürübung, bei der ihr in Paaren auf euch selbst gestellt seid. Doch zuerst lasst euch jeder von Signor Ruguccio ein Amulett geben, das eure Kräfte in der Abwehr des Heiligen stärken wird. Ich fürchte, die Übung würde ansonsten allzu schmerzhaft für euch, und wir müssten am Ende der Nacht sicher einige von euch, suchen lassen, weil ihr irgendwo im Labyrinth entkräftet und ohne Bewusstsein liegen geblieben wärt.«
»Das klingst spannend!«, raunte Tammo und zog eine Grimasse.
»Findest du?« Luciano schien nicht überzeugt.
»Na, du brauchst dir doch keine Gedanken zu machen«, gab der Jüngere zurück. »Ihr Nosferas habt doch von Natur aus schon viel stärkere Kräfte. Für uns wird es eine echte Herausforderung!«
»Dennoch würde ich auf das Amulett nicht verzichten«, vertraute Luciano den beiden Mädchen an. »Ich war schon mal in so einer Katakombe, und glaubt mir, das war alles andere als angenehm!«
Alisa und Ivy hängten sich die Lederbänder mit den roten Steinen um den Hals und folgten dann den Professoren die schmale Steintreppe hinunter in die Tiefe. Ivy umfasste den Rubin. Er wog schwerer, als sie es von seiner Größe her vermutet hätte, und schien in ihrem Griff zu pulsieren. Er war ungewöhnlich warm, als berge er eine Art von Leben hinter den kunstvoll geschliffenen Facetten. Selbst in tiefster Finsternis sandte der Stein einen roten Lichtschein aus, der wie die Glut in einem Stück Holz waberte und sich stetig veränderte.
Seymour drückte sich so dicht an seine Herrin, dass Ivy die Wärme seines Körpers durch ihr dünnes Gewand spüren konnte. Wachsam ließ er den Blick schweifen.
Alisa legte die Hand auf ihre Brust. »Spürst du das auch? Es schmerzt nicht richtig, aber da ist ein Wispern und Raunen in mir, das immer durchdringender wird.«
Ivy nickte. »Ja, ich habe den Eindruck, als würden die unzähligen Seelen gegen unser Eindringen protestieren. Sie greifen nach unserem Geist und versuchen, uns zu verwirren.«
Sie erreichten den Fuß der Treppe und drängten sich in dem langen Gang zusammen, der sich in der Dunkelheit verlor. Selbst die Augen eines Vampirs konnten die Finsternis hier unten nur wenige Meter weit durchdringen.
»Dieser Teil wurde gegen Ende des zweiten Jahrhunderts angelegt. Die christliche Gemeinde war inzwischen so groß, dass die vielen benötigten Grabplätze ein Problem für sie darstellten. Sie durften ihre Toten nicht in der Stadt begraben und
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