Nosferas
schloss die Augen. Die Rede hatte ihn erschöpft. Die jungen Vampire begannen, zaghaft miteinander zu flüstern, dann schwollen die Stimmen immer mehr an, bis der Alte sich plötzlich wieder aufrichtete und sie mit seinem scharfen Blick musterte.
»Ich möchte, dass ihr einen Aufsatz über die Geschichte der Vampirjagd schreibt. Ihr werdet erstaunt sein, wie viel sich über dieses Thema zusammentragen lässt. Und ihr werdet euch wundern, wie oft wir im Laufe der Jahrhunderte selbst Verderben über unsere Gattung gebracht und so den Menschen in die Hände gespielt haben. Und nun geht. Den Rest der Nacht gebe ich euch frei.« Er erhob sich und schlurfte mit schleppenden Schritten hinaus.
»Was sollen wir nur schreiben?«, stöhnte Luciano und starrte auf sein leeres Blatt. Die drei saßen mit ein paar anderen der jungen Vampire im Gemeinschaftsraum. Malcolm kam mit ein paar Büchern unter dem Arm herein und suchte sich einen freien Platz.
»Warst du in der Bibliothek? Ich habe gehört, sie wäre gut ausgestattet«, fragte Alisa. Malcolm schüttelte den Kopf.
Luciano sah von seinem Blatt auf. »Leandro lässt niemanden in die Bibliothek. Da müsste der Conte schon selbst danebenstehen und ihm drohen, ihm jedes seiner so sorgsam gehüteten Haare einzeln auszureißen.«
»Was? Aber der altehrwürdige Giuseppe hat gesagt, ich dürfte hinein«, rief Alisa aus. Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie hatte sich schon so darauf gefreut, in Ruhe die alten Bestände durchsehen zu können, und gehofft, dass sie nicht alle auf Italienisch oder Latein waren! In den vergangenen Wochen hatte sie schon einige Male versucht, den Bibliothekar aufzustöbern, doch er war in den Stunden nach dem Unterricht meist unterwegs.
Luciano winkte ab. »Was der so sagt. Sein Geist verwirrt sich immer mehr. Nicht umsonst musste er vor ein paar Dutzend Jahren die Führung der Familie an seinen Enkel Claudio abgeben. Das ging damals nicht ganz friedlich ab, das versichere ich dir. Es sind auf beiden Seiten ein paar Mitglieder verschwunden und nie wieder aufgetaucht.«
»Aber ich hatte den Eindruck, er stünde auf Conte Claudios Seite«, sagte Alisa verwundert.
Luciano nickte. »Ja, inzwischen schon. Nachdem er sich damit abgefunden hatte, dass er zu den Altehrwürdigen gehört, ging das ganz schnell. Nun ist er der glühendste Anhänger seines Enkels und würde ihn und seine Entscheidungen vermutlich auch mit Feuer und Schwert verteidigen.« Luciano grinste.
»Schönes Bild«, bemerkte Alisa, die sich den alten, hageren Giuseppe in Rüstung auf einem Streitross vorzustellen versuchte. Es kam eher ein trauriger Don Quijote dabei heraus.
Sie schielte auf einen der Titel, die Malcolm vor sich auf dem Tisch liegen hatte. »Was sind das dann für Bücher, wenn sie nicht aus der Bibliothek stammen?«
»Sie gehören Vincent. Ich musste ihm bei meinem Kopf schwören, dass ich sie sorgsam behandle und nicht aus der Hand gebe. Doch ihr könnt mit hineinsehen, wenn euch das hilft«, bot er großzügig an.
»Ach, ich erinnere mich, du sagtest, euer unreiner Begleiter sammelt Vampir- und andere Schauerliteratur.« Alisa trat näher.
»Drei volle Särge hat er dabei!« Malcolm blätterte in einem Buch und begann zu schreiben.
»Die würde ich mir zu gern mal ansehen«, flüsterte Alisa voller Sehnsucht Ivy zu. »Meinst du, er würde sie uns zeigen?«
Ivy fuhr mit den Fingern durch ihre silberne Lockenpracht. »Ich habe gar keinen Zweifel. Er wird sich überreden lassen.«
Alisa lächelte. »Gut, dann wollen wir ihn suchen.«
Sie begaben sich zuerst zu den Schlafkammern und dann zu den Unterkünften der Servienten, doch dort fanden sie nur die drei Särge mit ihrem wertvollen Inhalt vor.
»Es juckt mich in den Fingern, einmal hineinzuschauen!« Alisa strich mit den Handflächen über das glänzend polierte Holz.
»Ich vermute, dass ihn das nicht gerade milde stimmen würde«, wandte Ivy ein.
»Nein, das denke ich auch nicht. Aber wo kann er nur sein?«
»Seymour wird ihn in wenigen Augenblicken aufspüren!«
»Gute Idee! So ein Wolf ist eine wunderbare Sache.« Alisa strahlte. Sie reichte Ivy ein Stück Papier und ihre neue Stahlfeder.
»Zuweilen«, murmelte Ivy und kritzelte eine kurze Nachricht. Sie faltete das Papier zusammen und hielt es Seymour hin. Er knurrte und schnappte dann so heftig nach dem Zettel, dass er Ivy fast in die Finger gebissen hätte. Dann lief er davon.
»Was hat er?«, fragte Alisa verwundert. »Man könnte
Weitere Kostenlose Bücher