Nosferas
kleinen Unterstand mit ein paar Ziegen stehen geblieben war.
»Nein! Komm jetzt«, zischte Luciano und zog seinen Cousin weiter, obwohl er ihm im Stillen recht geben musste. Auch er hätte nichts gegen einen Bluttrunk einzuwenden gehabt. Luciano unterdrückte einen Seufzer. Die Nosferas waren dem Genuss einfach mehr zugetan als die anderen. Und das sah man ihnen leider auch an.
So etwas wie Neid stieg in ihm auf, als er die schlanken Körper vor sich betrachtete, deren Bewegungen so voller Grazie waren. Er würde nie so werden. Traurigkeit stieg in ihm auf. Solche Gedanken und Gefühle hatte er nicht gekannt, bis - die anderen hier aufgetaucht waren. Und nun wollte er plötzlich schön sein, elegant und - begehrenswert?
Er spürte den Blick auf seinem Gesicht. Zu spät!
»Dickerchen, das ist doch nicht dein Ernst, oder?« Franz Leopold setzte sein böses Grinsen auf. »Du glaubst doch nicht etwa, ein solches Geschöpf würde auch nur einen Gedanken an dich verschwenden? Nun ja, vielleicht könnte sie noch einen Schatten gebrauchen, der ihre Tasche trägt. Aber so wie es sich anfühlt, würde es dir ja genügen, wie ein Unreiner zu sein, wenn du dadurch in ihrer Nähe sein dürftest.«
»Es kann ja sein, das sie sich nicht viel aus mir macht«, zischte Luciano zurück. »Dich jedenfalls findet sie nur widerlich, obwohl du vielleicht schön sein magst, und sie wird auch nie etwas anderes für dich übrig haben als Verachtung!«
Franz Leopold zog ein wenig die gepflegten Augenbrauen nach oben. »Bist du dir da so sicher? Ich habe anderes in ihren Gedanken gelesen.«
Während des gesamten Heimwegs fühlte sich Luciano leer und elend, und das lag nicht daran, dass der Blutdurst ihn quälte. Ja, den Hunger hatte er völlig vergessen. Er tastete nach der Haarlocke in seiner Tasche und das Herz wurde ihm noch schwerer.
Kaum hatten sie die Domus Aurea erreicht, lief Alisa zu ihrer Schlafkammer. Erleichterung durchströmte sie, als sie Ivy auf der Kante ihres Sarkophags sitzen sah, Seymour zu ihren Füßen.
»Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist«, sagte sie und setzte sich neben das irische Vampirmädchen. Ivy verbarg das Gesicht in den Händen. Das silberne Haar fiel ihr ins Gesicht. Ganz deutlich sah man die kurze Strähne, die ihr nur noch bis zum Kinn reichte.
»Ach Ivy, was hat dich so durcheinander gebracht? Ich verstehe das nicht. Franz Leopold ist eben ein Widerling. Und Luciano wird über die Kränkung hinwegkommen. Vergiss die ganze Angelegenheit doch einfach.«
Langsam ließ Ivy die Hände sinken. In ihrem Blick lag so viel Verzweiflung, dass Alisa erschrak. Sie legte den Arm um ihre Schulter. »Dein Haar ist noch immer wundervoll und die Strähne wird nachwachsen!«
»Das bezweifle ich nicht!«, stieß Ivy bitter hervor. Seymour sprang auf und kläffte wild. Sein Fell im Nacken und am Rücken sträubte sich, und er zog die Lefzen hoch, dass man die Reißzähne sehen konnte. Ivy erhob sich, legte ihm die Hand zwischen die Ohren und sprach ein paar Sätze auf Gälisch. »Du hast ja recht«, sagte sie dann. »Vergessen wir das Ganze.«
Als sie sich Alisa wieder zuwandte, war ihr Gesichtsausdruck wie immer. Heiter und gelöst, als könnte nichts auf dieser Welt sie aus der Ruhe bringen. Alisa blinzelte und fragte sich, ob ihre Sinne sie getäuscht hatten. Wie war es ihr möglich, sich von einem Augenblick auf den anderen so zu verändern?
»Komm, gehen wir. Hast du noch ein spannendes Buch für mich? Ich habe In achtzig Tagen um die Welt bereits ausgelesen und giere nach mehr. Es war wunderbar!« Ivy hakte sich bei Alisa unter.
»Was, du bist schon fertig? Wir hatten doch kaum Zeit. Du musst ja lesen wie der Blitz.«
Ivy winkte ab. »Ach nein, ich konnte nicht schlafen.« Seymour jaulte.
»Das soll wohl ein Scherz sein.« Alisa lachte. »Sag nicht, dass du nicht wie alle anderen bei Sonnenaufgang in eine Todesstarre verfällst, die bis zum Einbruch der Dämmerung anhält.«
»Erwischt«, sagte Ivy leichthin. »Ich habe heimlich im Unterricht geschmökert.«
»Du? Nein, das hätte ich nicht von dir gedacht!« Alisa hob in gespielter Entrüstung den Zeigefinger. »Da hast du aber Glück gehabt, dass Franz Leopold dich nicht verraten hat.«
»Ach, er ist gar nicht so schlecht, wie er sich gibt«, wehrte Ivy ab.
»Bist du sicher?« Alisa sah sie zweifelnd an.
»Ja, er weiß es nur noch nicht!«
DER ALTEHRWÜRDIGE GIUSEPPE
Als sie am nächsten Abend den Klassenraum betraten, fanden
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