Nosferas
meinen, er sei heute schlecht gelaunt.«
»Er ist ein Mann«, schimpfte Ivy. »Erklärt das nicht seine Launen?«
Alisa grinste. »Oh ja, so habe ich das noch gar nicht betrachtet.«
Sie mussten nicht lange warten, bis Seymour zurückkehrte. Er wirkte noch immer ungehalten, soweit Alisa das beurteilen konnte.
Kurz darauf lief Vincent in die Kammer. Er hatte rotblondes Haar und einen noch kindlichen Körper. »Was macht ihr mit meinen Büchern?«, rief er mit seiner hellen Stimme.
»Nichts!«, sagte Alisa und deutete auf die geschlossenen Särge. »Wir haben sie nicht angerührt! Man hat uns erzählt, dass du eine ganz einzigartige Sammlung an Büchern über Vampire und andere Wesen der Nacht zusammengetragen hast, und da wollten wir dich bitten, ob du uns nicht einen Blick auf deine Schätze werfen lässt. Wir gehen bestimmt sorgsam mit ihnen um.«
»Habt ihr euch die Hände gewaschen?«
Das ging ein wenig zu weit, fand Alisa, doch Ivy verkniff sich ein Lächeln und zeigte ihm ihre sauberen Handflächen. »Aber ja! Wir wollen deine Bücher doch nicht beschmutzen.«
Vincent nickte zufrieden und hob den ersten Sarg herunter. Ein erstaunlicher Anblick. Er konnte ihn mit seinen dünnen Armen kaum umfassen, doch das Gewicht schien ihm nichts auszumachen, und so hatte er ihn bereits sacht auf dem Boden abgestellt, ehe die Mädchen ihm überhaupt ihre Hilfe anbieten konnten. Feierlich klappte Vincent den Deckel auf.
»Hier findet ihr alles, was das Herz begehrt. Von Robert Southey und Samuel T. Coleridge bis zu dem berühmten Gedicht von Goethe Die Braut von Korinth. Aber auch William Blake, Edgar Allan Poe, die Brontë-Schwestern und Shelley, Coleridge und unseren verehrten Lord Byron. Er hat mir das Buch selbst signiert!«
Alisa und Ivy beugten sich über die Bücher und nahmen das eine oder andere in die Hand. »Dürfte ich Der Mönch von Matthew Gregory Lewis einmal lesen?«, bat Alisa.
Vincent zögerte, dann nickte er. »Wenn du mir versprichst, äußerst pfleglich damit umzugehen.«
»Aber ja doch!«
»Dann könnte ich dir noch Shelleys Frankenstein und Melmoth der Wanderer von Charles Robert Maturin empfehlen.«
»Danke, aber Frankenstein habe ich selbst«, sagte Alisa mit einem gewissen Stolz. Vincent reichte ihr die beiden anderen Bände, die sie dankend entgegennahm.
»Du hast ja auch einige französische Autoren«, bemerkte Ivy. »Charles Nodier, Prosper Mérimée und den Comte de Lautréamont. Ich lese Französisch genauso leicht wie Englisch. Mit Deutsch tue ich mich allerdings schwer. Das ist also eher was für dich, Alisa«, sagte sie und zeigte auf einen Stapel mit den Autoren E. T. A. Hoffmann und Heinrich Heine.
Luciano kam in die Kammer geschlendert. »Ihr seid ja immer noch mit den Büchern beschäftigt.«
»Ja, was für eine Fundgrube!« Ivy strahlte Vincent an. Er schien kaum älter als Tammo, doch von Malcolm wussten sie, dass er mindestens vierhundert Jahre alt war. Nun sah Vincent ein wenig unglücklich zu, wie sie sich durch die Schätze seines zweiten Sarges gruben.
»Oh sieh nur, was ist denn das?«, rief Alisa und hielt ein dünnes Heftchen mit dem Titel Varney der Vampir oder das Blutfest in die Höhe. »Es müssen mehr als einhundert sein.«
Vincent nahm ihr das Heft aus der Hand, als handle es sich um ein besonders kostbares Kleinod. »Es sind mehr als einhundert! Dieses ist aus dem Jahr achtzehnhundertsiebenundvierzig. Ich habe die komplette Serie. Sie ist wöchentlich erschienen. Varney bietet dem geneigten Leser finsteren Grusel, spannende Jagden und Befriedigung fleischlicher Lüste - zumindest in seiner Fantasie. Jede Woche die ganze Wahrheit über uns Vampire für - wie man bei euch sagt - einen Groschen. Ein echtes Schnäppchen!«
Es war ein wenig seltsam. Die helle Kinderstimme und das engelsgleiche Gesicht passten nicht zu der altmodischen, gebildeten Sprechweise.
»Und, habt ihr was für unseren Aufsatz gefunden?«, wollte Luciano wissen. Die Romane interessierten ihn offensichtlich nicht.
»Ein Aufsatz?«, fragte Vincent interessiert. »Worüber?«
»Über Vampire, die Vampire verfolgen«, gab Luciano Auskunft und schnitt eine Grimasse.
»Dann würde ich euch vorschlagen, in die Bibliothek zu gehen. Ihr werdet auf interessantes Material stoßen. Von den Anfängen an! Ich würde selbst gern einige dieser Stücke mein Eigen nennen. Wenn ihr dann noch Fragen habt, stehe ich euch selbstverständlich mit meinem umfangreichen Wissen zur Verfügung!« Er
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