Nosferas
zuckten, doch er behielt die Beherrschung.
Der andere zeigte auf seinen Abendanzug. »Ich habe heute Nacht noch etwas vor, wie Euch nicht entgangen sein dürfte!«
»Ja, du kannst gehen«, sagte der Conte in gepresstem Ton. »Aber lass dir das eine Warnung sein!« Der Dunkelhaarige wandte sich mit einer wegwerfenden Handbewegung ab und eilte davon.
»Das solltet Ihr Euch nicht bieten lassen«, schimpfte der Bibliothekar.
»Ich weiß, aber es ist nicht einfach, diese jungen Revolutionäre im Zaum zu halten. Sie haben es bei den Menschen oft genug gesehen, wie leicht man einen Herrscher stürzen kann.«
»So weit wird es nicht kommen!«, sagte Leandro barsch.
»Hoffen wir es!«
Plötzlich schien der Conte zu bemerken, dass die Schüler und der Wolf noch immer an der Tür standen. »Worauf wartet ihr? Ach ja, auf eure Bücher. Leandro!«
Der Bibliothekar verschwand hinter einem Regal und kam kurz darauf mit fünf Büchern zurück, die er Alisa in die Arme fallen ließ.
»So, dann könnt ihr jetzt gehen!«, sagte der Conte und schob sie zur Tür hinaus.
Latona trat von einem Fuß auf den anderen. Sie zupfte nervös an ihrer Abendtoilette herum - ein Tornürenkleid aus schimmerndem Seidentaft mit einer gerafften Schleppe und einem doppelten Spitzenbesatz. Das Dekolleté war so tief, dass man den Ansatz ihrer hoch geschnürten Brüste sehen konnte. Sie stieß den Atem in kurzen Stößen aus. Vielleicht hätte sie für diesen Abend das Korsett nicht so eng schnüren sollen. Womöglich fiel sie im entscheidenden Moment in Ohnmacht! Sie konnte es noch immer nicht fassen. Er hatte eingewilligt, sie mitzunehmen! Zwar hatte sie ihm das Versprechen nach zwei Flaschen schwerem Rotwein abgerungen, doch das war egal. Versprochen war versprochen. Sie konnte ihm ansehen, dass er seine Leichtfertigkeit jetzt schon bereute!
»Onkel Carmelo, wo bleibst du? Wir kommen noch zu spät!«
»Nicht so nervös, meine Liebe. Es hat eben erst zehn Uhr geschlagen. Kein Mann von Welt geht so früh aus!«
»Er ist ein Vampir!«
»Der für einen Mann von Welt gehalten werden will. Vertraue mir, wir werden rechtzeitig da sein.«
Er sah gut aus in seinem Frack. Das lange Cape verbarg das Schwert, dessen Scheide er in der Linken trug. Er setzte den Zylinder auf und bot Latona den Arm. »Hast du das Fläschchen?«
»Aber ja! Ich habe nicht vor, mich aussaugen zu lassen!«
Er tätschelte ihr die Hand. »So ist es recht. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Ich brauche dich noch eine Weile.«
»Wozu? Um Vampire zu jagen?«, murmelte sie so leise, dass er es nicht hören konnte.
Carmelo winkte eine Droschke heran. Er wäre gern ein wenig durch die Nacht geschritten und hätte sich so auf das vorbereitet, was er gleich tun musste, aber aus Rücksicht auf Latonas unpraktische Kleider musste er darauf verzichten. Hoffentlich war das Betäubungsmittel stark genug. Er hatte es auf diese Weise noch nicht ausprobiert. Bei einem Menschen wäre diese Menge tödlich. Doch würde sie für einen Vampir ausreichen? Er war sich nicht sicher. Bisher kannte er die Wirkung nur, wenn der Vampir das Betäubungsmittel mit dem Blut seines Opfers aufgenommen hatte. Es war überlebensnotwendig, dass der Vampir zumindest für ein paar Augenblicke gelähmt oder verwirrt war. In einem fairen Kampf hatte ein Mensch gegen diese Kräfte keine Chance. Vampire waren zu stark und zu schnell.
Bei seinen bisherigen Experimenten hatte er jedes Mal mit dem Leben der »Freiwilligen« gespielt, die sich zuerst hatten beißen lassen müssen. Natürlich war es nicht schwer, eines der Straßenmädchen zu einem ungewöhnlichen Auftrag zu überreden, doch seit er das letzte Mal zu spät eingegriffen hatte, regten sich Skrupel in ihm. Er konnte nur hoffen, dass seine neue Idee nicht Latonas Leben in Gefahr brachte. Er mochte seine Nichte inzwischen wirklich gern. Sie war ihm längst nicht mehr das lästige, verstörte Balg, das er nach dem Tod seines Bruders und dessen Frau aus England zu sich geholt hatte.
Latona hakte sich bei ihm unter, während die Kutsche über das unebene Pflaster ratterte. »Du bist so schweigsam, Onkel Carmelo. Woran denkst du?«
Er versuchte sich an einem zynischen Lächeln. »An den Beutel voller Geld, den wir schon in wenigen Stunden in Händen halten werden! Woran denn sonst?«
DER FRIEDHOF DER FREMDEN
»Wo ist denn Francesco? Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen«, fragte Alisa, als sie ein paar Abende später wie gewöhnlich in der
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