Nosferas
Seite, dem brillanten Journalisten und frischgebackenen Ehemann unserer entzückenden Florence, wird sicher auch noch ein bemerkenswerter Literat. Doch nun lasst unseren Freund Oscar zu Wort kommen. Wir wollen hören, was er hier an diesem schaurigen Ort zu Papier gebracht hat.«
Der junge Mann zierte sich. »Nun gut. Aber nur ein paar Zeilen. Dann kehren wir in die Stadt zurück. Ich kenne ein kleines Gasthaus mit wundervollen Spezialitäten und noch besseren Weinen!«
Henry Irving und Florence stimmten ihm enthusiastisch zu. Oscar Wilde räusperte sich und las:
»Und wo die brennend roten Mohne schwanken,
Da lauert wohl im Schoß der Pyramide,
Dass nie gestört wird dieser Totenfriede,
Antike Sphinx mit grimmig-großen Pranken …«
»Sehr schön, mein Freund, sehr schön!«, rief der Schauspieler und klopfte dem Mann auf die Schulter, obwohl der offensichtlich noch nicht zum Ende gekommen war. »Doch nun lasst uns die Heimat der Toten verlassen. Ich lechze nach einem ordentlichen Essen! Wie kann man nur auf die Idee kommen, sich nachts auf einem Friedhof herumzutreiben!«
»Ich finde es faszinierend.« Die Augen des Mannes namens Bram Stoker glänzten, als er den Blick über die zwischen alten Bäumen und Büschen versteckten Grabsteine schweifen ließ.
»Ich habe viel über Phänomene des Todes oder vielmehr des Untodes gelesen und auch mit Leuten gesprochen, die behaupten, tatsächlich einem dieser Untoten begegnet zu sein, die einem das Blut und die Seele aussaugen. Es sind Wesen der Nacht, schnell und lautlos wie Schatten, obwohl sie keinen Schatten haben. Sie sind die Jäger und wir ihre hilflose Beute. Da, seht euch um, hinter jedem dieser Steine könnte sich ein Vampir verbergen, dessen Blutdurst ihn aus seinem Grab getrieben hat.«
Florence stieß einen spitzen Schrei aus und klammerte sich an den Arm ihres Gatten. »Bram, ich bitte dich, sprich nicht so! Du machst mir Angst. Glaubst du, diese Wesen gibt es wirklich?«
»Aber ja!« Ihr Ehemann nickte heftig mit dem Kopf. »Es geht das Gerücht um, dass selbst Lord Byron, Shelleys alter Gefährte, noch immer als Blutsauger unter uns weilt.«
»Na, wenn das nicht nur der blühenden Fantasie eines Poeten entsprungen ist«, wiegelte der Schauspieler ab und forderte seine Freunde zum dritten Mal zum Gehen auf.
»Ich werde jedenfalls weitere Nachforschungen anstellen, und dann schreibe ich ein Buch über Vampire!«, verkündete Bram Stoker.
Oscar Wilde packte seine Schreibutensilien ein und drängte sich an Florences freie Seite. »Siehst du, meine Liebe, es wäre doch besser gewesen, wenn du mich gewählt hättest statt einen Mann, der sich mit Blutsaugern abgibt.« Seine Worte wehten zu den Lauschern herüber, dann waren die Menschen verschwunden und die Gräber lagen wieder verlassen unter dem nächtlichen Sternenhimmel.
Ivy stieß Alisa in die Seite. »Komm, lass uns umkehren, bevor jemand unsere Abwesenheit bemerkt.« Alisa nickte und kroch mit Ivy zurück zu den anderen, die sich noch immer in den Büschen verbargen und sich sichtlich langweilten.
Zu ihrer Überraschung verteilten die Professoren keine weiteren Aufgaben für diese Nacht, sondern erlaubten den jungen Vampiren, in kleinen Gruppen über den nächtlichen Friedhof zu streifen und sich am Duft des Verfalls zu erfreuen.
»Ihr habt in den vergangenen Wochen hart gearbeitet und viel gelernt«, sagte der Professor. »Also los! Worauf wartet ihr?«
Alisa, Ivy und Luciano zogen gemeinsam los. Wieder schloss sich ihnen Franz Leopold an. Sie schlenderten zwischen den Gräbern hindurch, als Geräusche sie plötzlich innehalten ließen.
Das Erste, was sie hörten, war ein leises Knarren wie von den Rädern eines Karrens, dann vernahmen sie Stimmen und unterdrücktes Gelächter. Die verrosteten Angeln des Gittertores neben der Kirche kreischten, als die beiden Flügel aufgeschoben wurden. Die Vampire gingen in Deckung. Kurz darauf tauchten vier Männer auf, die eine Handkarre mit sich führten. Zwei zogen und zwei schoben von hinten an.
»Was ist das für ein seltsamer Ort«, flüsterte Alisa. »Geht es hier jede Nacht so belebt zu? Was mögen diese Menschen um diese Zeit hier wollen?«
»Ich denke, etwas Verbotenes, das sie bei Tageslicht nicht wagen«, vermutete Ivy. Der Karren kam unweit ihres Verstecks zum Stehen.
»Hier muss es irgendwo sein. Ich habe mir das Grab bei Tageslicht noch einmal angesehen«, sagte einer, der groß und kräftig schien.
»Ich kann nichts sehen«,
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