Nosferatu 2055
gefunden hatte. Daß Mathanas die Nachricht hinterlassen hatte, war ziemlich plump gewesen, aber vielleicht auch wirkungsvoll.
Was er von seinen Beobachtern erfahren hatte, war, daß Luther seine Beute nicht weiter verfolgte. Das gleiche hatte er in Azanien getan. Sobald etwas schiefging, entledigte er sich seiner Werkzeuge. Niall wußte nicht genau, nach welchen Kriterien Luther seine Opfer auswählte, aber er konnte es sich denken. Er konnte sich nicht damit abgeben, die nächsten auf der Liste zu schützen, wie schmerzlich der Gedanke daran, was mit ihnen geschehen würde, auch sein mochte. Luthers Hunger hatte extreme Formen angenommen, und das war für jemanden seines Schlages ungewöhnlich. Es bedeutete, daß er von der Intensität dessen, was er tat, verzehrt wurde.
Es war der Gedanke daran, was Luther tat, der Niali plötzlich erschauern ließ, obwohl es ein so warmer und wunderbarer Morgen war - das und die Tatsache, daß er kurzerhand von seinem eigenen Fleisch und Blut vernichtet werden würde, wenn er sein Interesse durch einen zu offenkundigen Zug verriet. Praktisch all seine magischen Energien und auch jene seiner Verbündeten waren darauf gerichtet, ihn verborgen zu halten. Gegen den Willen des Danaanmor, der eigentlichen Macht im Lande Tir na nOg zu handeln, war Häresie, ein Verrat von ungeheuerlichem Ausmaß. Zufällig war gerade das in dieser Situation das einzig richtige.
12
Das Geräusch eines Trolls, der sich im Badezimmer zu schaffen machte, weckte Serrin um kurz nach acht. Tom war nicht das leiseste Wesen auf dieser Erde. Seine Gurgelgeräusche hätte man leicht mit einem Wasserrohrbruch verwechseln können.
Michael stand knietief in Papier, als Serrin schließlich das Ritual des Kaffeekochens beendet hatte. Der Engländer nahm seine Anwesenheit praktisch überhaupt nicht zur Kenntnis, bis er flüssiges Frühstück roch. Er schien fast in die wirkliche Welt zurückzukehren und sah sich mit einigem Ekel um.
»Das ist das Problem bei drei Männern in einer Wohnung«, stellte er fest. »Männer sind so verdammt unordentlich.«
Serrin beschloß, diese Bemerkung zugunsten wichtigerer Angelegenheiten zu ignorieren. »Wie läuft es?« fragte er. Tom hatte sich ihnen mittlerweile angeschlossen, wobei er die Überreste des Kühlschrankinhalts auf einer Sammlung verschiedener Teller mit sich herumtrug. Die Waffeln sahen trotz der letzten Marmelade, die der Troll daraufgehäuft hatte, unappetitlich aus. Er kaute fröhlich auf mehreren gleichzeitig, während Michael eine rasche Zusammenfassung dessen lieferte, was seine Nachtarbeit erbracht hatte.
»Also, die Liste des Mädchens enthält Namen, über die ich nichts herausgefunden habe, und zwar nicht nur den Burschen, der in Kapstadt entführt wurde. Das ist nicht weiter überraschend, weil ich offensichtlich nicht die ganze verdammte Welt absuchen kann. Entscheidend sind die drei Namen, bei denen ich fündig geworden bin. Zwei von ihnen waren Entführungen, eine in der Slowakei, die andere in Griechenland. Bei beiden handelt es sich um Elfenmagier ohne Konzernverbindungen. Keine Informationen über die Entführer, keine Zeugen, beide sind spurlos verschwunden. Der dritte ist Shakala, und der lebt noch. Grund Nummer eins, nach Azanien zu gehen: Er ist der beste Zeuge, den wir bekommen können.
Jetzt wird es komplizierter«, seufzte der Engländer. Er lehnte sich ein wenig zurück und spielte mit seiner blauen Seidenkrawatte herum. »Von den Namen, über die ich nichts gefunden habe, ist einer ein Elfenmagier aus Finnland, zwei andere sind menschliche Magier, einer aus Wien, der andere aus München. Wenn es zwischen diesen Leuten eine Verbindung gibt, dann offenbar nicht die, daß sie Elfen sind. Die Verbindung scheint vielmehr die zu sein, daß alle Magier sind. Richtig?«
Serrin und Tom nickten. So weit, so gut.
»Aber mit den verbleibenden zweien gibt es ein Problem. Beides Deutsche. Einer aus Dresden, der andere aus Koblenz.«
»Unser Entführer steht anscheinend auf Deutsche«, stellte Serrin trocken fest.
»Ja, aber keiner von ihnen ist entführt worden.«
»Vielleicht haben sie sich die Entführer auch nur noch nicht vorgenommen«, schlug Tom vor.
»Völlig korrekt«, sagte Michael, der jetzt offenbar langsam in Fahrt kam. »Das ist mir auch als erstes eingefallen. Aber es gibt ein kleines Problem.«
»Und das wäre?« fragte Serrin.
»Keiner von ihnen ist ein Magier. Einer ist ein ganz gewöhnlicher medizinischer Techniker,
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