Notaufnahme
Chapman guckte die Nachrichten; gerade wurden die Titelseiten mit den Headlines eingeblendet, die die großen Morgenzeitungen am nächsten Tag bringen würden: MAYHEM IM MID-MANHATTAN. Das Foto zeigte den von Reportern umringten Bürgermeister, der vor dem Portal des Krankenhauses Gemma Dogens Schicksal bedauerte und gleichzeitig den Krankenhäusern der Stadt sein volles Vertrauen aussprach.
»Warte nur, bis der Chief sieht, dass er nicht übern Äther flimmert«, bemerkte Chapman grinsend. »Er hasst es, wenn der Bürgermeister ihn aus dem Rennen wirft.«
»Vielleicht willst du’s ihm ja selbst sagen. Er steht ungefähr fünf Schritte hinter dir«, zischte ich Mike warnend zu.
Mercer stellte das Holzgestell ab. Er schlug den ersten Bogen nach hinten, und zu sehen war die erste einer Reihe von Skizzen, die eine Polizeizeichner anhand eines Bauplans des Krankenhauses angefertigt hatte, um die Bosse mit dem Terrain vertraut zu machen. Obwohl es aus der Skizze nicht ersichtlich war, wussten wir alle, dass der Komplex mehr Menschen beherbergte als die meisten Städte des Landes. Es gab Dutzende von Ein- und Ausgängen, die auf Straßen, in Tiefgaragen und in andere Gebäudeteile führten; es gab kilometerlange Gänge, an denen Büros, Labors, Aufbewahrungskammern und OPs lagen; es gab Tausende von Menschen, die in diesem Gebäudekomplex arbeiteten, die dort jemand besuchten, behandelt wurden oder aus anderen Gründen tagtäglich ein und aus gingen.
Lieutenant Peterson führte McGraw in den hinteren Teil der Umkleide; ihnen folgten die drei Detectives des Sondereinsatzkommandos. Es handelte sich um die drei Männer, die den Tag damit verbracht hatten, im Krankenhaus zu ermitteln; die hatten geduldig Zeugen um Zeugen angehört, um herauszufinden, ob irgend jemand am Tag oder in der Nacht zuvor etwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen hatte. Peterson schob seine Brille hoch auf die Stirn, forderte uns auf, am Tisch Platz zu nehmen, und bat Mercer, zu berichten, was er über die Ermordete herausgefunden hatte. McGraw hielt sich etwas abseits, die Arme vor der Brust verschränkt, die Zigarette im Mundwinkel. Mit zusammengepressten Lippen hatte er aus dieser Position heraus sowohl uns als auch den Fernsehapparat im Blickfeld; der Ton war abgestellt, aber auf dem Bildschirm waren immer noch die tumultartigen Szenen vor dem Krankenhaus zu sehen.
Laura hatte mir in meinem Büro den üblichen rostfarbenen Ziehharmonikaordner in die Hand gedrückt, der im Lauf einer solchen Ermittlung schon bald aus allen Nähten platzen würde. Ich nahm die Notizblöcke heraus, die sie reingesteckt hatte – ein paar frische und zwei, die schon die Notizen beinhalteten, die Sarah und ich im Lauf des Tages für dieses Meeting zusammengetragen hatten. Die Cops klappten währenddessen ihre handlichen Steno-Blöcke auf. Als Mercer zu berichten begann, machten wir die ersten Notizen.
»Gemma Dogen. Wie Sie bereits alle wissen, war die Ärztin achtundfünfzig Jahre alt, weiß, körperlich gut in Schuss, alleinstehend. Sie war Britin, geboren und aufgewachsen in einem kleinen Dorf namens Broadstairs an der Küste von Kent. Sie hat in England studiert und Examen gemacht und zog vor etwa zehn Jahren hierher – sie hatte das Angebot erhalten, in der neurochirurgischen Abteilung zu arbeiten, und übernahm dann bald deren Leitung. Keine schlechte Karriere für eine Frau. Dazu kommt noch die Professur am Medical College. Sie war auch in akademischen Kreisen respektiert, nicht nur als praktizierende Ärztin. Sie wurde vor ihrer Übersiedlung in die Staaten geschieden. Keine Kinder. Ihr Ex-Mann, Geoffrey Dogen, ist im Augenblick nicht erreichbar. Er ist ebenfalls Arzt; sie haben sich an der Uni kennen gelernt. Er ist seit 1991 wieder verheiratet, und seine jüngere Frau hat in ausgerechnet in dieser Woche zum Bergsteigen in den Himalaja geschleift. Sie leben in London, und aus den Briefen, die ich in Gemma Dogens Wohnung gefunden habe, ist ersichtlich, dass sie noch in Kontakt stehen und eine gute Beziehung haben. Er wird nächste Woche in London zurückerwartet, dann können wir uns mit ihm in Verbindung setzen und ihm ein paar Fragen über das Privatleben seiner Ex-Frau stellen. Zum Kreis der Verdächtigen ist er jedenfalls nicht zu zählen.«
Der Chief hatte noch kein Wort von sich gegeben. Sein Blick hing immer noch wie gefesselt am Bildschirm, und wie immer störte ihn die Tatsache, dass seine Zigarette bis kurz vor seinen Mundwinkel
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