Notbremse
nun in diesem Hotel. Tagung oder so. Irgendetwas wird Ihnen doch wohl einfallen.« Es klang vorwurfsvoll.
Sie hatten Langenau verlassen und näherten sich der Autobahnanschlussstelle, wo sich neben einer großen Spedition eine Vielzahl jener Unternehmen niedergelassen hatte, die man immer an solchen Verkehrsknotenpunkten findet. Ein Werbemast von ›McDonald’s‹ ragte in die Höhe. Der Chauffeur bog nicht in die Autobahn ein, sondern folgte den Hinweisschildern in Richtung Ulm.
»Darf ich fragen …« – der Fahrer zögerte – »… weshalb die Lage eskaliert ist?«
Doch der Mann, dem noch immer Schweißperlen von den grauen Schläfen liefen, schwieg.
Häberle und Linkohr waren vom Parkdeck über die innere Treppe in das Erdgeschoss des Einkaufscenters hinuntergestiegen, wo ihnen verbrauchte Luft entgegenschlug. Auf den paar Schritten hinüber zur Apotheke begegneten ihnen einige wenige Passanten. Türkische Wortfetzen drangen an ihr Ohr.
In der Apotheke, die sowohl durch das Einkaufscenter zu betreten war als auch von der Fußgängerzone her, stand ein Mittfünfziger mit vollem, grau meliertem Lockenkopf und Schnauzbart hinter der Verkaufstheke.
»Guten Tag, meine Herrn«, begrüßte er mit einem Lächeln die beiden Besucher, worauf Häberle sich und seinen Kollegen vorstellte und näher herankam, weil nebenan gerade eine Apothekenangestellte einer Kundin die Einnahme der verschriebenen Tabletten erläuterte.
»Und wieso kommen Sie ausgerechnet zu mir?«, fragte der Apotheker, nachdem der Chefermittler auf die Ereignisse auf der nahen Bahnlinie verwiesen hatte, über die der Mann bereits informiert war. Häberle erklärte, dass unter den vorgefundenen Telefonnummern auch jene dieser Apotheke sei.
Der Pharmazeut kniff die Lippen zusammen und gab sich ratlos: »Was glauben Sie, wie viele Leute hier tagtäglich anrufen, vor allem auch nachts, wenn ich Notdienst hab?«
Häberle zog das zerknitterte Foto aus der Brusttasche und hielt es ihm vor. »So sieht er aus. Könnte es sein, dass Sie ihm schon irgendwo begegnet sind?«
Der Befragte kratzte sich im Schnurrbart und schüttelte bedächtig den Kopf. »Kommt mir überhaupt nicht bekannt vor.« Häberle steckte das Papier wieder ein, während Linkohr Blickkontakt zu einer pharmazeutisch-technischen Assistentin aufnehmen wollte, die am Ende eines langen, von Schubfächern gesäumten Ganges mit dem Einsortieren von Medikamenten beschäftigt war.
»Gibt es vielleicht irgendetwas, das Sie in Verbindung mit diesem Vorfall im Zug bringen könnten?«, hakte Häberle weiter nach.
»Sie fragen mich Sachen. Ich sag Ihnen doch, dass wir unzählige Anrufe kriegen. Mir scheint nicht außergewöhnlich, dass jemand unsere Nummer bei sich trägt.«
»Was uns stutzig macht«, entgegnete Häberle, »ist die Tatsache, dass auch Ihr Rezeptlieferant von oben mit seiner Telefonnummer aufgeführt ist – der Dr. Mirka.«
Der Apotheker wurde misstrauisch. »Wollen Sie mich jetzt in eine Sache mit reinziehen – oder wie seh ich das?«
»In keinster Weise, aber wir brauchen irgendwo einen Ansatzpunkt, und diese beiden Telefonnummern aus der Stadt sind im Moment alles, was wir haben.«
Der Apotheker begann, mit seinem Kugelschreiber zu spielen, und rückte mit der anderen Hand seine randlose Brille zurecht. »Natürlich rufen mich nicht nur Patienten und Kunden hier an. Auch Vertreter der Pharmazieunternehmen melden sich telefonisch. Seit dieser unseligen Gesundheitsreform unserer Frau Schmidt«, gemeint war die derzeitige Gesundheitsministerin in Berlin, »wird doch jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf gejagt.« Häberle war dieser Vergleich geläufig, wurde damit doch im Schwäbischen zum Ausdruck gebracht, dass ständig wechselnde Themen aufgekocht wurden, ohne sie zu erledigen. Ein seit Langem übliches Spiel in dieser Republik, fuhr es ihm durch den Kopf.
»Sie meinen, es könnte sich um einen solchen Vertreter handeln?«
»Das wäre zumindest eine von vielen denkbaren Möglichkeiten.«
Die Kundin hatte inzwischen bezahlt und ging, worauf auch die Angestellte in den hinteren Räumen verschwand.
»Welche Unternehmen da infrage kommen, können Sie nicht sagen?«, bohrte Häberle weiter. Er merkte, dass Linkohrs Interesse momentan etwas ganz anderem galt – nämlich dieser Apothekenhelferin, die sich jetzt in seine Richtung gedreht hatte.
»Ho«, entfuhr es dem Apotheker, »schauen Sie sich mal um, wie viel tausend Medikamente wir haben und wie viele Lieferanten es
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