Notbremse
gibt, von denen jeder meint, er komme zu kurz.«
»Es kann aber doch«, so überlegte Häberle, »nur um Medikamente oder Ware gehen, die nicht der Rezeptpflicht unterliegen.«
»Im Prinzip ja«, ereiferte sich jetzt der Apotheker, »bei den verschreibungspflichtigen gibt’s keinen Spielraum mehr. Inzwischen haben die Firmen ihre Preise teilweise drastisch gesenkt, sodass für manche Medikamentengruppen sogar die Zuzahlung des Patienten entfällt.«
Häberle hörte interessiert zu, denn das war ihm noch nicht bekannt. »Um ehrlich zu sein«, unterbrach er den Apotheker, »ich hab bisher immer gedacht, es wird alles teurer.«
»Ob Sie zuzahlen müssen oder nicht, hängt auch von Ihrer Krankenkasse ab – je nachdem, mit welchem Hersteller die einen Vertrag hat.«
Häberle erkannte, dass man es wieder einmal geschafft hatte, ein kompliziertes System noch komplizierter zu machen – vor allem aber so, dass es der Normalbürger nicht verstand.
Der Apotheker nahm ein Rezept zur Hand. »Hier«, er zeigte auf den linken Rand des Papiers, wo es Kästchen zum Ankreuzen gab. »Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten, für die es mehrere Hersteller gibt – weil das Patent abgelaufen ist –, kann der Arzt entscheiden, ob ich das Original hergeben muss oder das billigere eines anderen Produzenten. Weil der Arzt aber ein Budget hat, das er nicht übersteigen darf, wird er hier nichts ankreuzen.«
Der Chefermittler seufzte. »Und das dämpft die Kosten im Gesundheitswesen?«
Das braun gebrannte Gesicht des Apothekers verzog sich zu einem Grinsen. »Hat denn jemals irgendetwas zu was geführt, was diese Regierung zusammengeschustert hat?«
Häberle wollte sich auf keine Grundsatzdiskussion einlassen, obwohl er sich insgeheim wünschte, mit diesem sympathischen Mann, der ein sonniges Gemüt zu haben schien, mal ein Weizenbier trinken zu können. »Und wer könnte nun zum Beispiel auf Sie Druck ausüben?«, blieb er beim Thema.
»Wo es um viel Geld geht, wird immer Druck ausgeübt, Herr Häberle. Nicht bei den Medikamenten, nein – und glauben Sie bloß nicht, ich hätt’ in den letzten 30 Jahren jemals von der Pharmaindustrie eine Reise bezahlt gekriegt, wie da immer behauptet wird.« Seine Gesichtszüge wurden ernst. »Wenn wo Druck ausgeübt wird, dann bei den Nahrungsergänzungsmitteln.« Der Apotheker deutete nach vorn zu den frei zugänglichen Regalen. »Jeder Hersteller ist darauf bedacht, dass seine Produkte möglichst vorn und gut sichtbar präsentiert werden.«
Der Kriminalist hörte aufmerksam zu, während sich sein junger Kollege auffallend für etwas anderes interessierte. Doch die Apothekenhelferin blieb in dem Gang zwischen den vielen Schubfächern verschollen.
»Und woher wissen Sie das so genau?«, bat Häberle seinen Gesprächspartner um mehr Hintergrundinformation.
»Die Vertreter sagen’s ganz einfach«, erwiderte der Apotheker. »Wer seine Produkte am besten platzieren kann, kriegt Punkte. Da gibt’s unter den Vertretern ein richtiges Ranking – ein stressiger Job, kann ich Ihnen sagen …«
»Aber wenn Sie dann etwas gut platzieren, haben Sie doch auch Vorteile?«, wollte der Chefermittler wissen.
»Okay, ich verkauf’s dann besser, klar.« Der Pharmazeut überlegte. »Aber wenn Sie eine Grauzone suchen, dann sollten Sie sich anderswo umhören.«
»So?«, zeigte sich der Kriminalist verwundert und trat näher an den Verkaufstresen heran.
»Denken Sie ans Internet. Oder an die Einfuhr von Billigpräparaten aus dem Ausland. Oder an die unzähligen Aufbau- und Hormonpräparate, die Sie in Fitnessstudios angeboten kriegen.«
Linkohr blinzelte jetzt der Schönen zu, doch konnte sein Chef nicht feststellen, ob die Sympathie erwidert wurde. Er wollte ihn nachher nochmals fragen, ob ihn seine Freundin verlassen hatte.
Jetzt aber musste er sich aufs Gespräch mit dem Apotheker konzentrieren: »Haben Sie denn – wenn Sie an solche Grauzonen denken – ganz spontan jemanden Spezielles im Auge?«
Der Apotheker dachte für einen Moment nach. »Wenn Sie mich so fragen, fällt mir spontan zwar jemand ein, der aber leider Gottes kein Mann ist, sondern eine Frau – also nicht Ihr Opfer aus dem Zug sein kann.«
»Ach«, staunte Häberle, »dürfen wir erfahren, wer das ist?«
Das braun gebrannte Gesicht, das entweder die Folge regelmäßigen Solariumbesuchs oder eines frühsommerlichen Urlaubs im Süden war, lächelte ihm jetzt entgegen: »Natürlich dürfen Sie das. Aber Sie sollten bei Druck
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