Notbremse
noch einmal die Journalistenschar willkommen und betonte, dass man es vermutlich mit einem überregionalen Fall zu tun habe. »Wir sind deshalb auf die Mithilfe der Medien angewiesen. Herr Stock hat eine Pressemappe vorbereitet, in der sich auch das Porträt des Toten befindet. Vielleicht ist es den Printmedien und dem Fernsehen möglich, es zu veröffentlichen.« Der Chefermittler blickte dabei auf die beiden Videokameras, die vom Mittelgang aus auf ihn gerichtet waren. »Inzwischen«, so fuhr er fort, »haben wir Indizien, dass es sich um keinen deutschen Staatsbürger handelt.«
Diese Bemerkung provozierte in der anschließenden Diskussion sofort Nachfragen. Sander kam diesmal auch dem Kollegen der ›Bild-Zeitung‹ zuvor: »Kann man sagen, woher er ist? Ein Südländer?«
Häberle grinste den Journalisten an: »Lassen wir dies ausnahmsweise mal so im Raum stehen. Es gibt beim derzeitigen Stand aus ermittlungstaktischen Erwägungen ein paar Dinge, die wir beim besten Willen nicht preisgeben können.«
»Hatte er ein Handy bei sich?«, blieb Sander hartnäckig.
Häberle sah ihn mit zusammengekniffenen Lippen an, um dann anzumerken: »Sie hören mal wieder das Gras wachsen, Herr Sander.«
Ein älterer Journalist hakte nach: »Das alles hat sich in einem Vierpersonenabteil der ersten Klasse zugetragen. Soweit ich weiß, gibt es in diesem ICE-Typ nur ein einziges davon – die anderen umfassen sechs Plätze. Ist das Ihrer Ansicht nach ein Zufall?«
Sander staunte. Der Kollege hatte sich offenbar informiert.
Häberle ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Können wir nicht sagen. Auch der Schaffner weiß nicht, ob der Getötete ab Ulm allein war.«
Sander überlegte, ob er vor all den Kollegen ein Thema anschneiden sollte, das ihm seit einer Viertelstunde auf den Nägeln brannte. Als er nämlich zu seinem Auto gegangen war, das auf dem Parkdeck des ›Sonne-Centers‹ stand, hatte er den Hautarzt getroffen, den er seit Jahr und Tag kannte und zu dem er ein geradezu freundschaftliches Verhältnis pflegte. Der Mediziner war nach Praxisschluss mit einer jungen Frau in seinen roten Mercedes gestiegen und hatte sich zu Sander umgedreht: »Hat eigentlich die Geschichte auf der Steige etwas mit Ärzten zu tun?«
Sander war erstaunt gewesen und hatte mehr wissen wollen. Doch Dr. Mirka hatte nur mit den Schultern gezuckt und mit einem Lächeln die Autotür zufallen lassen.
Der Journalist entschied sich, die Frage des Mediziners jetzt doch anzubringen. Aber noch ehe der Chefermittler antworten konnte, fuhr Ziegler eloquent dazwischen: »Ich nehme an, dass die Gerüchteküche am Kochen ist, Herr Sander. Sie wissen doch selbst am besten, dass zu Beginn der Ermittlungen alle Eventualitäten in Erwägung gezogen werden. Da werden eine Vielzahl von Personen befragt – und da können Ärzte genauso gut darunter sein wie Journalisten.« Der Staatsanwalt deutete ein Lächeln an.
Sander bemerkte sehr wohl, dass es sich um kein Dementi gehandelt hatte, sondern um den juristischen Versuch, einer unangenehmen Frage auszuweichen. Er wollte jedoch nicht weiter nachhaken, um bei den anderen Journalisten keine unnötige Neugier zu erwecken. Obwohl die ›Geislinger Zeitung‹ konkurrenzlos war, hatte Sander noch immer den Ehrgeiz, exklusiv zu berichten. Das war ihm aus den Zeiten geblieben, als er in dieser Kleinstadt Volontär gewesen war und es damals noch ein Konkurrenzblatt gegeben hatte. Dies war allmorgendlich in der Redaktion Pflichtlektüre gewesen. Und Sander entsann sich noch bestens, wie der Chef grimmig werden konnte, wenn die Konkurrenz bei einem Thema die Nase vorn hatte. Bis heute war es Sander rätselhaft, weshalb dann er in die Schusslinie der Kritik geriet und nicht die altgedienten Kollegen. Denn dann hatte der Chef ausgerechnet ihn, den Jüngsten, angebruddelt: »Sag mal, Junger, warum haben wir das nicht drin?«
Erst die Frage einer jungen Kollegin riss ihn wieder aus seinen Gedanken:
»Gibt es denn Anhaltspunkte, dass der Tote ein Arzt sein könnte?«
»Nein«, entgegnete Ziegler. »Wie gesagt, wir haben bei ihm nichts gefunden, was auf seine Identität hindeuten könnte.«
»Auch keinen Geldbeutel mit Kreditkarten?«, unterbrach ihn ein Journalist aus der ersten Reihe.
»Geldbeutel ja, aber nur knapp 200 Euro, sonst nichts. Keine Kreditkarten, kein Führerschein, kein Kfz-Brief, auch keine Krankenkassenkarte«, erwiderte Ziegler. »Es sieht, wenn Sie so wollen, tatsächlich so aus, als habe er ganz
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