Notbremse
bewusst nichts bei sich getragen.«
»Oder der Täter hat ihm dies alles abgenommen«, warf eine Radiovolontärin ein und hob ihr Mikrofon in die Höhe.
Ziegler winkte ab. »Dazu wäre dem Täter keine Zeit geblieben. Außerdem hätte er damit rechnen müssen, dass jemand an der Abteiltür vorbeigeht.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe«, schaltete sich ein forsch wirkender junger Journalist ein, »dann tappen Sie im Dunkeln.«
Es war jene Formulierung, die dazu angetan war, sich das Missfallen von Staatsanwalt, Kriminalist und Pressesprecher zuzuziehen. Sie gingen allesamt nicht darauf ein.
11
Sylvia Ringeltaube hatte von ihrem Chef Konstantin Rieder einen schwarzen Aktenkoffer erhalten, der mit zwei Kombinationsschlössern gesichert war. »Nicht aus den Augen lassen«, hatte er ihr eingebläut und ihr den Schlüssel für einen nagelneuen C-Klasse-Mercedes gegeben, der auf einem der Chefparkplätze stand. Die Strecke hatte ihr Rieder nicht beschreiben müssen. Sie war schon oft genug kurzfristig nach Kiefersfelden geschickt worden, wenn dort dringend irgendwelche Unterlagen gebraucht wurden. Außerdem, das musste sie sich trotz allen Ärgers über Rieder eingestehen, hatte sie dort auf Kosten der Firma schon einige traumhafte Wochenenden erlebt. Seither war sie auch begeisterte Wasserskifahrerin. Immerhin hatte sich zu der Betreiberin der Wasserskianlage am nahen Hödenauer See ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt.
Sylvia war von dem Auftrag, noch zu abendlicher Stunde nach Bayern zu fahren, wenig angetan. Eigentlich hatte sie sich auf ein Rendezvous gefreut – mit einem Mann, der sich geradezu rührend um sie bemühte. Die Einladungen waren meist üppig und teuer, doch sie genoss dieses Leben, das er ihr bieten konnte. Allerdings gab es Momente, in denen sie von Zweifeln geplagt wurde – Zweifel darüber, ob er es wirklich ehrlich meinte oder ob sie für ihn nicht auch nur eine nützliche Gespielin war, eine Marionette. Immer, wenn sie daran denken musste, konnte sie sich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Seit sie ihn kennengelernt hatte, fühlte sie sich gespalten. Hin und her gerissen in einem Wechselbad der Gefühle.
Und nun saß sie in diesem nagelneuen Auto und kam sich wie eine kleine Angestellte vor, über deren Zeit der Chef offenbar nach Belieben verfügen konnte. Eigentlich hatte sie es längst nicht mehr nötig, sich so behandeln zu lassen. Nicht von Rieder, diesem Dreckskerl.
Sie hatte bereits die Autobahn erreicht und bog in Richtung München ein. Nach wenigen Kilometern klemmte sie sich hinter einen Sattelzug, der knapp 100 km/h fuhr, und fingerte nach ihrem Handy, das sie auf den Beifahrersitz gelegt hatte. Da sie nicht wusste, wie es in die Freisprecheinrichtung gesteckt werden musste, behielt sie es in der rechten Hand, schielte auf die Tastatur und wählte die bekannte Nummer. Im Rückspiegel beobachtete sie die herannahenden Autos, um rechtzeitig eine Polizeistreife erkennen zu können. Sie wollte schließlich nicht wegen verbotenen Telefonierens eine Geldbuße oder gar Punkte in der Flensburger Verkehrssünderkartei riskieren.
Der Angerufene meldete sich nur mit einem knappen »Ja«, denn er hatte offenbar auf dem Display die Nummer erkannt.
»Ich bin’s«, sagte Sylvia, »entschuldige, aber ich hab vorhin abbrechen müssen.«
»Hab ich gemerkt.«
»Ich muss Horschak einen Koffer bringen«, kam sie gleich zur Sache und war enttäuscht, dass der Mann kein liebes Wort für sie fand.
»’nen Koffer?«, wiederholte er stattdessen sachlich. »Weißt du, was drin ist?«
»Keine Ahnung. Ist verschlossen mit so einem Zahlenschloss.«
»Dann versuch rauszukriegen, was da drin ist.« Es klang wie ein Befehl.
Sylvia schluckte und fasste sich ein Herz. »Du, darf ich dich mal etwas fragen?«
Er schwieg, was sie noch mehr verunsicherte.
»Gibt es auch noch etwas anderes als das Geschäftliche?«, fragte sie und versuchte, es nicht ängstlich klingen zu lassen. Der Abstand zu dem Lastzug verringerte sich. Sie bremste leicht ab.
»Aber Sylvi«, kam die jetzt wesentlich freundlichere Stimme zurück. »Du weißt, ich liebe dich. Und daran hat sich nichts geändert. Es gibt nur – das musst du verstehn – manchmal Situationen, die im grauen Alltag nicht zu vermeiden sind.« Er schien zu überlegen. »Schon aus diesem Grund hab ich mich auf heut Abend gefreut.«
Schlagartig waren die Erinnerungen wieder da. An seine Villa, die er nach der Scheidung von seiner Frau allein
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