Notbremse
abstellen sollte. Denn hinter dem sanierungsbedürftigen Mühlengebäude mündete der Fahrweg in einen steil zur Bundesstraße hochführenden Wanderpfad. Ein idealer Platz, um in einen Hinterhalt gelockt zu werden, besonders nachts. Er stoppte den Wagen etwa zehn Meter vor dem Renault, dessen Scheinwerfer nun ebenfalls aufblitzten. Häberle wendete den Kripo-Audi mit einem raschen Rangiermanöver und stellte ihn in Fluchtrichtung vor das Auto der Frau, die inzwischen die Tür geöffnet hatte.
Als der Motor verstummt war und sich die nächtliche Stille breitmachte, scannten Häberle und Linkohr mit geübten Blicken noch einmal die Umgebung ab, erkannten, dass in den beiden desolaten Häusern kein Licht brannte, und stiegen aus. Linkohr hatte die rechte Hand vorsorglich in die linke Innentasche des Jacketts gesteckt. Für alle Fälle, wie er dachte.
Die Luft war kühl und feucht, von oben drang das Rauschen des Bundesstraßenverkehrs zu ihnen herab, das sich mit dem sanften Plätschern des Flüsschens vermischte. Von der anderen Hangseite hallten die Schreie eines Nachtvogels herüber.
Im abgeblendeten Licht des Renaults, das den schmalen Asphaltstreifen beleuchtete, gingen die beiden Kriminalisten auf die zierliche Frau zu, die ihnen im engen Jeansanzug entgegenkam.
»Frau Gracia?« Häberles Stimme klang gedämpft. Er wollte jedoch alle Zweifel an der Identität der Frau ausschließen, die er im Gegenlicht nur schemenhaft sah. Außerdem kannte er nicht einmal ihren Nachnamen.
»Herr Kommissar?«, kam es fragend zurück. Doch dann hatten sich die drei Personen bereits getroffen und die Kriminalisten erkannten sofort, dass es sich um die junge Kollegin des Hautarztes handelte, den sie am Nachmittag besucht hatten.
»Entschuldigen Sie«, sagte die Frau, die den Männern ihre eiskalte Hand zur Begrüßung reichte. »Aber ich hab ganz schlechtes Gewissen«, fuhr sie in gebrochenem Deutsch aufgeregt fort. »Da gibt es etwas, das ich heute Mittag nicht habe sagen können.« Sie konnte ihre innere Unruhe nur schwer verbergen. Häberle versuchte, ihre Gesichtszüge zu erkennen, doch tat er sich damit im Gegenlicht der Scheinwerfer schwer.
»Es ist nämlich …«, fuhr sie fort und sah immer wieder verängstigt in die finstre Umgebung. »Es ist etwas geschehen, das ich nicht erzählen darf.« Sie stockte, während jetzt das Rattern und Scheppern eines Güterzugs das Tal erfüllte.
Linkohr behielt die Umgebung, vor allem aber die im Streulicht des Scheinwerfers untergehenden Gebäude der alten Mühle im Auge.
»Und warum«, versuchte Häberle nun mit gedämpfter Stimme gegen den Lärm anzukämpfen und überlegte, wie er die Frau beruhigen konnte, »warum wollen Sie es nun an diesem ungewöhnlichen Ort trotzdem tun?«
Sie wartete und sah in die hell erleuchteten, gespannten Gesichter der beiden Kriminalisten. »Weil ich Ihnen etwas zeigen muss«, flüsterte sie schließlich.
Konstantin Rieder schwitzte. Er riss die beiden Flügel des großen Bürofensters weit auf und sog die frische Nachtluft in sich hinein. Wie war das mit Sylvia?, überlegte er. Seinem Wissen nach war sie Single, zumindest noch vor ein paar Monaten. Jedenfalls hatte sie ihm das damals gesagt. Sie wohnte droben auf der Alb, in Lonsee, in einer Mietwohnung. Er eilte zu seinem Schreibtisch zurück, holte das Telefonbuch des Alb-Donau-Kreises aus einer Schublade und blätterte hastig zu den Seiten von Lonsee. Doch unter ›R‹ wie Ringeltaube fand sich kein Eintrag. Typisch, durchzuckte es ihn. Geheimnummer. Raffiniertes Luder, ganz klar. Er klappte das Buch wieder zu und warf es in die Schublade zurück.
Verdammt noch mal, sie war mit einem Firmenfahrzeug unterwegs, fiel ihm plötzlich ein. Dann aber ärgerte er sich schon wieder darüber, dass ihn der nagelneue C-Klasse-Mercedes mehr interessierte als der Koffer. Er konnte doch unmöglich das Fahrzeug als gestohlen melden. Die Polizei würde danach fahnden, es vielleicht sogar finden – doch womöglich dabei auch auf den Inhalt des Koffers stoßen.
Rieder lehnte sich zurück und schloss die Augen. Womöglich war er sogar erpressbar geworden. Ganz sicher sogar. Wenn nicht mit dem Inhalt des Koffers, dann doch aber mit diesen verdammten Abenteuern. Vermutlich hatte sie sich dabei heimlich fotografieren lassen. Genial eingefädelt. Ein einziges Bild würde ausreichen, um seine Familie zu zerstören. Plötzlich spürte er, dass er gar keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen konnte. Er
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