Notbremse
gesagt.
Doch der Kollege wusste noch mehr zu berichten:
»Und irgendwo haben die Kollegen einen Fetzen Papier entdeckt. Hier …« Er hob eine Klarsichtfolie hoch, in der sich ein winziges, zerknülltes und ausgefranstes Stück Papier befand. »Abgerissen. Vermutlich stammt es von einem der verschwundenen Kartons.«
»Und was steht drauf?«, drängte Häberle.
»Leider nicht viel. Nur ›zen‹ ist noch zu lesen.« Und er buchstabierte: »z-e-n. In Kleinbuchstaben.«
Niemand aus der Runde wusste sich einen Reim drauf zu machen, weshalb der Kriminalist die Folie wieder zurücklegte und feststellte: »Es muss das Ende eines Wortes sein, denke ich.«
»Okay«, durchbrach Häberle die kurze Ratlosigkeit. »Dann hätt’ ich noch einige Bitten. Mich würde brennend interessieren, warum uns der Herr Apotheker ausgerechnet diese Ulrike Steinmeier spontan genannt hat. Das kann doch kein Zufall sein, oder? Außerdem soll uns der Herr Dr. Mirka ein bisschen mehr über seine schöne Praktikantin erzählen. Und dann …« Häberles Stimme nahm wieder einen väterlichen Unterton an, »… müssten wir noch abklären, wohin unser Toter in Peking telefonieren wollte. Irgendwie sollten wir rauskriegen, mit wem er dort in Kontakt stand. Kann natürlich sein, dass das eine rein private Angelegenheit von ihm war.«
Fludium versprach, sich dieser Sache anzunehmen, auch wenn dies möglicherweise eine zeitraubende Recherche vom Schreibtisch aus bedeutete.
»Da war auch noch die Nummer von Gundremmingen, Kernkraftwerk«, machte Häberle weiter, wurde jedoch sogleich von einem blutjungen Kriminalisten unterbrochen, der sich erstmals in einer Sonderkommission bewähren durfte: »Vermutlich eine falsche Vorwahlnummer. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht ums Kernkraftwerk in Gundremmingen geht, sondern um eine Apotheke in Gernsbach.«
»Ach?«, staunte der Chefermittler. »Wie sind Sie denn da draufgekommen?«
»Zahlenspielerei«, antwortete der junge Kollege stolz. »08224 ist die Vorwahl für Offingen an der Donau, wozu auch Gundremmingen gehört. Eine Vorwahl 09224 gibt es nicht, dafür aber 07224. Eben für Gernsbach. Und dort führt die Teilnehmernummer zu einer Apotheke. Was sagen Sie nun?«
Häberle nickte anerkennend. »Und somit passt die Nummer wieder in das Gesamtkonzept. Apotheken und Ärzte.« Er überlegte und wechselte das Thema: »Habt ihr die Vermisstenmeldungen gecheckt?«, fragte Häberle in die Runde.
»Ja«, erklärte eine Stimme. »Die der letzten fünf Tage. Alles, was beim Bundeskriminalamt aufgelaufen ist. Aber nichts, was auf unseren Toten passen könnte. Auch EU-weit nicht.«
»Italien«, gab Häberle das Stichwort. »Auch dort nicht?«
»Sofern es EU-weit registriert ist, auch dort nicht.«
Häberle überlegte. »Jemand hatte doch gestern die Idee, ob sich feststellen lässt, weshalb sein ganzes Zugabteil reserviert war. Sind wir damit weitergekommen?«
»Ich bin dran«, meldete sich ein behäbiger Kollege, der hinter einem der Schreibtische seinen Kopf abstützte. »Es wurde am Ulmer Bahnhof gekauft – so viel steht fest. Und zwar am Montagnachmittag. Aber die Angestellten, die ich bisher erreicht habe, können sich nicht entsinnen. Einer steht allerdings noch aus. Er hat Urlaub. Ich versuch, ihn seit heute früh daheim anzurufen. Aber er meldet sich nicht.«
»Dranbleiben«, bat Häberle und sah auf seine Armbanduhr. Kurz nach 12 Uhr mittags.
»Dann mach ich mich mal auf die Reise«, entschied er zur Überraschung der Kollegen. »Ich werd’ mich für den frühen Abend beim Staatsanwalt in Bozen anmelden. Könnt ihr mir mal bitte nach der Telefonnummer schauen?«
Er sah in erstaunte Gesichter. Aber es war nicht das erste Mal, dass ihr Chef spontan einen Auswärtstermin einlegte. Er informierte seine Frau Susanne, die ihm wieder mal in aller Eile einen Koffer zusammenpacken musste. Insgeheim wunderte sie sich, wie ihr August es schaffte, nach durchwachten Nächten am Steuer zu sitzen und stundenlang übers Land zu fahren. Aber sie wusste, dass ihm gerade dies Spaß machte und ihm die Freude an der Arbeit erhielt. Er musste raus, die Enge verstaubter Büros verlassen und selbst an der Realität teilhaben, die ganz anders aussah, als es sich die ewigen Bürokraten vorzustellen vermochten.
»Manche meinen, sie könnten heutzutage mit einem Mausklick die Welt bewegen«, hatte er erst kürzlich im Freundeskreis gesagt. »Doch sie merken gar nicht, dass sie die Welt auf ihrem Bildschirm nur
Weitere Kostenlose Bücher