Notbremse
ärgerlich.
»Wie kommen Sie denn da drauf? Das ist, entschuldigen Sie bitte, doch eine absolut absurde Idee.«
Häberle hatte die Münchner Nordumgehung gewählt. Zwar widerstrebte es ihm, im weiten Bogen um die Stadt herumzufahren, doch hatte er sich im Laufe der Zeit von all seinen Freunden belehren lassen, dass dieser kilometermäßige Umweg nicht nur Bremse und Kupplung schonte, sondern ihn auch schneller ans Ziel brachte.
Es war kurz vor 15 Uhr, als er die Steilstrecke des Irschenbergs erreichte. Tankstelle und Rasthaus befanden sich auf der Anhöhe. Häberle bog in die Rastanlage ein und sah bereits von Weitem einen Streifenwagen der Autobahnpolizei, der am Ende einer Parkreihe hinter einem silberfarbenen Mercedes mit UL-Kennzeichen stand. Der Kriminalist betätigte beim Näherkommen die Lichthupe und winkte den wartenden Kollegen zu.
Er begrüßte zwei wohlbeleibte bayrische Polizeibeamte, die sich zunächst informieren ließen, worum es ging.
»Da habt’s aber a schöne G’schicht’n«, stellte der ältere fest. »Dös hört sich an, als ob’s in Schwabing wär’.« Er lächelte und holte vom Rücksitz eine Klarsichthülle, in der sich ein braunes Kuvert befand, auf das mit einem dicken Filzstift handschriftliche Druckbuchstaben geschrieben waren:
»Für Häberle«.
»Mir ham’s in der Tankstell’n sicherg’stöllt«, erklärte der ältere Uniformierte. »Genau, wie S’ am Telefon g’sogt hom. Wos do drin is, fühlt sich wie an Schlüssel an.«
Der jüngere, der offenbar Sorge hatte, Häberle könne den bayrischen Dialekt des Kollegen nicht verstehen, fügte an:
»Das Kuvert, in dem vermutlich der Fahrzeugschlüssel drin ist, hat jemand heut früh an der Kasse hinterlegt.«
»Weiß man etwas über die Person, die es abgegeben hat?«, wollte Häberle wissen.
»Naa«, schaltete sich wieder der ältere ein, »es muss zwisch’n fümfe und sechse g’wes’n sei. Die Schicht is jetzt nimmer do.«
»Wir haben aber die Adressen von ihnen«, berichtete der jüngere, der den Rangabzeichen nach zu urteilen ein Polizeiobermeister war, während es der andere bereits zum Oberkommissar gebracht hatte, wie Häberle feststellte.
»Ich denke«, meinte der Obermeister, »jemand müsste sich erinnern, wer ihm so ein Kuvert in die Hand gedrückt hat. Dürfte ja nicht jeden Tag vorkommen.«
Der Chefermittler nickte. »Dann machen wir die Limousine mal vorsichtig auf«, entschied er und stülpte sich durchsichtige Kunststoffhandschuhe über, die ihm der junge Kollege gereicht hatte. Er zog das Kuvert aus der Plastikhülle, in die es die Polizisten ordnungsgemäß gesteckt hatten, um keine Spuren zu verwischen. Der ältere gab ihm ein Taschenmesser, mit dem er das zugeklebte Kuvert am Falz aufschlitzen konnte. Häberle drückte es leicht zusammen, worauf es nach beiden Seiten aufklaffte und einen Blick ins Innere freigab. Häberle war zufrieden, als er den Mercedes-Schlüssel sah. Eine schriftliche Botschaft, die er insgeheim erhofft hatte, war nicht dabei. Er griff nach dem Schlüssel, gab das Kuvert dem jungen Kollegen zurück und wandte sich der Fahrertür des Mercedes zu, die sich sofort per Fernsteuerung entriegeln ließ. Häberle öffnete die Tür, obwohl bereits beim Blick durch die Scheiben klar gewesen war, dass sich im Fahrzeug keine Gegenstände befanden. Er stieg deshalb auch nicht ein, sondern wandte sich an die Uniformierten: »Könnten Sie die Kollegen der Kriminalpolizei bitten, die Spurensicherung herzuschicken?« Für einen Moment überlegte er, welche Polizeiinspektion – wie hier in Bayern die Polizeireviere genannt wurden – für diesen Autobahnabschnitt zuständig sein würde. Die Frage erübrigte sich, nachdem der Obermeister erklärt hatte: »Ich verständig die Kripo in Miesbach.« Er ging zum Streifenwagen.
Häberle ließ die Fahrertür wieder sanft ins Schloss gleiten und öffnete die Beifahrertür, um ans Handschuhfach zu gelangen. Es war unverschlossen. Doch mehr als die üblichen Serviceunterlagen fanden sich nicht.
»Sehr ordentlich«, murmelte er und musste daran denken, wie es zum Leidwesen seiner Frau im Handschuhfach seines Privatwagens aussah.
Er schloss auch diese Tür wieder und wandte sich dem Kofferraum zu. Der Deckel schwenkte auf und gab den Blick auf einen dunkelbraunen Aktenkoffer frei. Häberle und der ältere Kollege erkannten sofort, dass er gewaltsam geöffnet worden war: Zwischen den beiden Zahlenkombinationsschlössern hatte jemand den Deckel
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