Notbremse
ich fragen, wer das sein soll?«
»Das hätte ich gern von Ihnen gewusst.«
»Tut mir leid«, meinte Rieder und reichte das Blatt zurück. »Kenn ich nicht. Hat der etwas mit Herrn Plaschke zu tun?«
Linkohr zuckte mit den Schultern und steckte das Blatt langsam wieder ein. Er glaubte zu spüren, dass Rieder jetzt froh gewesen wäre, wenn er sich verabschieden würde. »Da sind noch ein paar Fragen offen«, sagte er und ließ es gelangweilt klingen.
»Dann bitte ich Sie darum, sie zu stellen«, entgegnete der Manager, als dränge er auf Eile.
»Könnte es sein, dass Herr Plaschke nicht nur Medikamente ausgefahren hat?«
»Wie darf ich das verstehen – nicht nur Medikamente?«
»Ja, es könnte doch sein, dass er den Kastenwagen benutzt hat, um auch noch andere Dinge zu transportieren. Das würde doch zumindest die hohe Kilometerleistung erklären.«
»Andere Dinge? Sie meinen …« Rieder hielt inne, als sei ihm dieser Gedanke nie zuvor gekommen.
»Ich weiß zwar nicht, was«, räumte der Kriminalist ein. »Aber auszuschließen wäre dies doch nicht, oder?«
»Natürlich nicht. Er hatte den Wagen auch mal zwei, drei Tage behalten dürfen, wenn absehbar war, dass es gleich wieder Folgeaufträge geben würde.«
»Und in dieser Zeit hat er natürlich auch andere Fahrten vornehmen können«, stellte Linkohr fest.
»Wenn Sie das so sehen – ja.«
Für einen Moment überlegte Linkohr, ob er Rieder auf seine Wellnesswochenenden in Kiefersfelden ansprechen sollte. Dann aber entschied er, dieses Thema vorläufig auszusparen. Erstens tat es nichts zur Sache und zweitens brauchte Rieder nicht schon jetzt zu wissen, dass sie sein bevorzugtes Rückzugsgebiet kannten. Möglicherweise spielte dies auch gar keine Rolle.
Rieder drehte am offenen Knopf seines Jacketts. »Sie werden jetzt aber nicht versuchen, das Unternehmen da reinzuziehen«, stellte der Manager mehr fest, als dass er fragte, und Linkohr glaubte jenen Unterton herauszuhören, den Einflussreiche wie seinesgleichen immer anschlugen, wenn sie versuchten, die Ermittlungsbeamten von weiteren Nachforschungen abzuhalten.
»Ich hab Ihnen bereits gesagt«, entgegnete Linkohr, »uns von der Sonderkommission ist es egal, ob Sie Herrn Plaschke hätten sozialversicherungspflichtig beschäftigen sollen. Schwarzarbeit ist nicht unser Metier. Stattdessen …« Er schlug die Arme vor der Brust zusammen. »Stattdessen müssen wir uns von den gesamten Umständen eines Verbrechens ein Bild verschaffen.« Linkohr bemerkte ein leichtes Zucken in Rieders Augen. »Denn da ist noch etwas, das uns Rätsel aufgibt.«
»Noch was?« Die Frage kam zu schnell, wie Linkohr befand.
»Ja, es muss alles nichts bedeuten und kann eine ganz simple Erklärung haben«, beschwichtigte der Jungkriminalist bereits im Vorfeld. Genauso hatte er es von Häberle gelernt.
Rieders blasses Gesicht verfinsterte sich. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass es etwas gibt, das sich nicht erklären ließe.« Sachlich und kühl sollte es klingen. Doch Linkohr glaubte, Unsicherheit herauszuhören.
»Es gibt da einen Mercedes«, begann er langsam. »Und der ist auf Ihre Firma zugelassen.«
»Ja – und?«, hakte Rieder schnell nach. Sein Mund war trocken geworden.
Herbert Fludium hatte sich in Häberles Büro zurückgezogen und das Fenster geöffnet. Er war seit über einer Stunde in die gestrigen Vernehmungsprotokolle vertieft – eine Aufgabe, die höchste Konzentration erforderte. Eigentlich wäre er viel lieber rausgegangen, um mit den Beteiligten direkt zu sprechen, doch die jahrelange Erfahrung zeigte, dass es auch notwendig war, die bisher gewonnenen Erkenntnisse zu sortieren und zuzuordnen. Schließlich hatten sie gestern in aller Eile eine Vielzahl von ICE-Passagieren vernehmen müssen. Und der Chef hatte sicher nicht unrecht, wenn er zumindest die wichtigsten Zeugen noch einmal genauer unter die Lupe nehmen wollte. Diese Lara Waldinger, so las Fludium am Computerbildschirm, war auf dem Gang mit dem Berliner Probost zusammengestoßen, als die Schnellbremsung eingeleitet wurde.
»Als der Zug zum Stillstand kam, sind wir beide zur nächsten Tür gegangen, um nachzusehen, was geschehen war«, hatte einer der Kollegen protokolliert. Dort hätten sie dann diesen unbekannten Mann in den Steilhang rennen sehen. Fludium scrollte die Bildschirmanzeige weiter, um dazu die Aussage des Berliners zu lesen: »Ich stand am Fenster im Gang, um die Talfahrt auf der Geislinger Steige zu verfolgen.« Es
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