Notizen aus Homs (German Edition)
Einmarsch, mit zwei Panzern, die einen Pick-up begleiteten. Die Panzer wurden zerstört und der Pick-up erbeutet; die sechs Gefangenen sind alle zur FSA übergelaufen.
*
[ Bei Abu Amar. ] 17.30 Uhr. Der Zorn trifft mit einem Mann aus Baba Amr ein, Ibn Pedro. Er wurde von der FSA des Viertels geschickt, um uns abzuholen. Vor einer Stunde, bei Einbruch der Dämmerung, wurde ein Freund des Zorns an einer mobilen Straßensperre getötet. Er war ein Soldat, der vor zwei Monaten von der Staatssicherheit desertiert war. Er war mit einem Freund im Auto unterwegs, sie konnten umdrehen und querfeldein fliehen, dann zu Fuß, aber er bekam eine Kugel in den Rücken. Das war in der Zone, durch die wir gestern gefahren sind, nicht weit vom FSA-Checkpoint auf der Brücke, da, wo die Schmuggler rübergefahren sind. Die Leute vom Checkpoint konnten die Leiche bergen.
Information: Es gibt ein Aufklärungsflugzeug über der Zone, ausgestattet mit Nachtsichtgeräten aus dem Iran.
Abu Amar: »Die Armee ist korrupt, es ist eine Armee von Dieben, alle, die zahlen können, gehen nicht hin, nur die Armen gehen hin. Es ist eine unfähige Armee, die nicht funktioniert. Sie dient nur dazu, die alawitische Gemeinschaft zu bereichern.«
Er war drei Jahre lang Unteroffizier. Vor den Unruhen war die Armee nicht gut ausgestattet, hatte keine moderne Ausrüstung zur Kommunikation, zur Observierung etc. Erst seit Beginn der Revolution verfügen sie über iranisches Gerät.
Die Armee ist in einem Zustand völliger Auflösung.
18.30 Uhr. Der Krankenpfleger, den wir gestern am Medizinstützpunkt getroffen haben, wurde an einer Straßensperre festgenommen. Zufällig, es wurde nicht nach ihm gefahndet. Die Station, die wir gestern gesehen haben, wurde schon evakuiert, alles Material abtransportiert.
Raed erklärt mir die Rituale: Der schahid wird nicht gewaschen, er wird in seinem Blut beerdigt. Man zieht ihn aus, und hier filmt oder fotografiert man ihn häufig, um seine Verletzungen zu dokumentieren, sicherlich auch zum Andenken. Dann wird er in ein Grabtuch eingerollt. Wenn möglich, bestattet man ihn während des Mittagsgebets, manchmal wartet man noch die Nacht nach seinem Tod ab. Man legt den Leichnam vor die qibla -Wand und betet über ihm, im Stehen, ohne die Knie zu beugen, zehnmal mit dem Imam »Allahu akbar!«.
21 Uhr. Der Zorn und Ibn Pedro. Witze über den Whisky, den wir trinken, sie sagen, dass sie uns die Kehle durchschneiden werden – Raed: »Dann ist es also wahr, was Baschar über die salafistischen Terroristen sagt!« Großes Gelächter. Sie bestätigen uns, dass wir nach Baba Amr hineindürfen, aber dass wir die Letzten sein werden. Die FSA glaubt, dass einige Korrespondenten – zwei Engländer? – Spione des Regimes waren.
Während meines Aufenthalts in Homs habe ich diese Geschichte von den Journalisten-Spionen in allen Varianten gehört. Jedes Mal wechselte die Nationalität – Marokkaner, Deutsche, Italiener –, aber es waren immer zwei. Es scheint sich auf einen konkreten Vorfall zu beziehen, aber ich habe nie weitere Einzelheiten herausbekommen können.
Vor vierzehn Tagen ist die Armee hierhergekommen, zu Abu Amar, und hat alle Matratzen, Decken, den Ölofen, alle Nahrungsmittel gestohlen und die Klimaanlage zerstört. Abu Amar musste alles neu kaufen. Seltsamerweise haben die Soldaten den Fernseher dagelassen.
Gegen 23 Uhr steigen die Leute auf die Dächer, und es wird ein takbir 26 gesprochen: Alle fangen an, »Allahu akbar!« zu skandieren. Das hört man von weitem. Unweigerlich eröffnet die Armee von den Straßensperren aus das Feuer. So ist es jeden Abend.
Donnerstag, 19. Januar
Qusair – Baba Amr
Reichliches Frühstück, Hummus mit Fleisch, musabaha aus Hummus und ful , Käse, labneh, Oliven … Abu Amar: »Iss ordentlich, du fährst heute nach Tora-Bora!« Sie schlagen lachend vor, uns mit Granaten auszurüsten. Der Zorn ist ganz in seinem Element: »Ich muss mit der Freien Armee sprechen, die müssen mir ein paar Benjamin Franklins geben!«
Ein Soldat tritt ein, vermummt, mit einem gestrickten Schal in den Farben des freien Syrien. Er sei vor drei Stunden desertiert, erklärt er. Er ist ein mulazim , stationiert in Damaskus, der hierhergekommen ist, weil er Urlaub hat. Er trägt noch Uniform, Tarnjacke. Sein Bruder, ebenfalls ein mulazim , ist im Gefängnis, weil er sich geweigert hat, auf Demonstranten zu schießen. Er hat Angst um seinen
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