Notizen aus Homs (German Edition)
Strömungen: die takfiristisch-dschihadistische made in USA ; die Dschamaat-i Tabligh [ gegründet 1926 in Indien ], eine transnationale Strömung, nicht politisiert, die sich berufen fühlt, den Islam in den muslimischen Gemeinschaften zu verbreiten, eine Strömung, die den Muslimbrüdern nähersteht; und die ideologische Strömung tahrir al-uqul , »Befreiung des Geistes«, eine unpolitische, religiöse, fromme und auch elitäre Strömung.
Raed erzählt Ibn Pedro von seinen Plänen, der ihm anbietet, er könne ihm [ damit er sich in Homs freier bewegen kann ] einen falschen Ausweis besorgen, in dem Christ steht. Das wird zehn Tage dauern und im Libanon gemacht.
Das Warten zieht sich. Raed plaudert, zeigt auf dem Computer seine Fotos. Wir trinken Tee. Die Männer beten. Raed zeigt auch PDFs seiner Veröffentlichungen, sehr nützlich für unsere Glaubwürdigkeit. [ Ich lese Plutarch, das einzige Buch, das ich mitgenommen habe. ] »Dies und Ähnliches wird durch seine Neuheit und Seltsamkeit die Leser vielleicht doch mehr anziehen als durch seine Märchenhaftigkeit verdrießen.« ( Romulus ) Das passt gut zu Ibn Pedros Verhalten.
Der Kleine ist ein wahrer Gangster. Als ich ihn nach dem Weg zu den Toiletten frage, läuft er vor, schiebt seine Mutter in ein Zimmer und macht die Tür hinter ihr zu.
Dialog Raed – Abu Abdallah, unser Fahrer. Abu Abdallah war Elektroingenieur, er hat sechs Jahre an der Ingenieurshochschule in Damaskus studiert. In den 90er Jahren verlor er seinen Job bei der Raffinerie von Homs, weil er sich weigerte, bei Korruption mitzumachen. Dann arbeitete er zwei Jahre lang in den Emiraten. Danach ist er nach Syrien zurückgekehrt und hat seine eigene Firma gegründet. Jetzt hilft er der FSA bei der Logistik: Transport von Verwundeten, Waffen und Journalisten.
Abu Abdallah fragt uns nach der Haltung des französischen Volkes und der Regierung, und Raed erklärt, dass sie im Großen und Ganzen den Aufstand unterstützen und verstehen und die Grausamkeiten des Regimes verurteilen. Abu Abdallah ist einverstanden, aber er sagt, das helfe ihnen nicht besonders, sie sehen kein konkretes Resultat. Raed erklärt, dass der diplomatische Druck die Repression des Regimes im Zaum halte. »Denk dran, was sie in Hama getan haben!« – Abu Abdallah: Hama ist etwas anderes, das war ein Aufstand, der von einer politischen Bewegung provoziert wurde, den Brüdern, unterstützt von Saddam Hussein. 28 Heute ist es das Volk, das sich erhebt. Die politischen Bewegungen laufen ihm hinterher, um ihm auf die Schultern zu steigen. Besonders die Brüder, die Kommunisten und die Salafisten ( tahrir -Strömung, präzisiert Raed – die beiden anderen gibt es in Syrien nicht). Er spürt, dass die politischen Parteien seit zwei Monaten versuchen, die Dinge in die Hand zu nehmen. Die Brüder sind eine Partei, sie wollen Ergebnisse, politischen Gewinn. Das merkt man ihren Aktionen an. Die Kommunisten auch, vor allem in Dschebel Zawije (Region Idlib) und Salamije (zwischen Homs und Hama, wo es viele Ismailiten gibt). Beide Parteien versuchen sich in der Bevölkerung wieder eine Basis aufzubauen. Aber die syrische Straße lehnt die Politisierung der Bewegung ab. Sie akzeptiert Unterstützung, woher sie auch kommt, aber nur, wenn sie nicht an Bedingungen geknüpft ist.
Eine der Bedingungen der Brüder zur Unterstützung der Bewegung war, dass die Koordination in ihrem Namen geschieht und sie die Parolen ausgeben, dass die Leute in ihrem Namen demonstrieren. Die Bewegung hat abgelehnt. Später, wenn es Wahlen gebe, stehe es den Brüdern frei, sich aufstellen zu lassen. Die syrische Straße hat sich nicht erhoben, um eine bestimmte politische Option zu fordern, sondern als Reaktion auf Unterdrückung und Erniedrigung.
»Ich gehöre zu den Leuten, die kein politisches Bewusstsein hatten. Als ich auf die Straße ging, wollte ich nicht, dass Baschar al-Assad abdankt. Wir wollten nur ein würdiges Leben, Essen und Respekt. Aber selbst meine Religion auszuüben ist ein Problem. Wenn du dich in der Moschee mit Leuten triffst, um dich zu erbauen, hast du sofort Ärger, du wirst als islamistischer Oppositioneller hingestellt. Die Baath-Partei hat alle Institutionen politisiert: die Schule, die Universität. Das syrische Volk wird in einem Hühnerstall aufgezogen: Du darfst essen, schlafen, Eier legen, mehr nicht. Für Gedanken ist kein Platz. Wir leben unter dem Regime der Baath-Partei, und Baschar al-Assad ist unser
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