Notizen aus Homs (German Edition)
Geschichte: Früher war allein schon die Tatsache, dass man einen Bart trug, ein Grund zur Anschuldigung: »Aha, du gehörst zur Bande von bin Laden.« Jetzt verhaften sie einen Studenten: »Was studierst du?« – »Französische Literatur.« – »Aha, du gehörst zur Bande von Sarkozy, dschamaat Sarkozy !« Das ist eine wahre Geschichte: »Den Studenten kannst du kennenlernen.« Er wurde 21 Tage im Gefängnis festgehalten, vor drei Monaten.
Al-Muthanna erklärt, dass Murmeln verboten sind, weil man sie mit Schleudern als Waffen gegen die Armee verwenden könnte. Wenn sie in einem Haus Murmeln finden, verhaften sie den Vater. Deshalb verbieten die Eltern ihren Kindern, mit Murmeln zu spielen. Ein Mann aus Baba Amr wurde vor drei Tagen deswegen verhaftet.
Abu Salim erzählt, dass selbst die Kinder überwacht werden. Sein Sohn wurde gefragt, welche Fernsehsender seine Eltern schauen; er wusste, dass er aufpassen muss, und hat klug geantwortet. Aber die Eltern der Kinder, die Aljazeera, Alarabiya, France 24, BBC, al-Wesal TV oder Adnan al-Aaruur (ein in Saudi-Arabien lebender syrischer Prediger, der dem syrischen Regime kritisch gegenübersteht) etc. gesagt haben, wurden einbestellt. In einigen Schulen hat ein bewaffneter Typ von der Sicherheit sogar Fragebogen über die Gewohnheiten der Eltern an die Schüler der 9. Klasse, die Zwölfjährigen, verteilt. Die Lehrer sind gezwungen mitzumachen.
Beispiele für die Fragen: Welche Fernsehsender schauen deine Eltern? (Es gibt eine Liste.) Schauen deine Eltern Addounia TV? Wie reagieren sie, wenn der Präsident eine Rede hält? Nehmen deine Verwandten an den Demonstrationen teil? Habt ihr Waffen zu Hause?
Sie erzählen uns von den Entführungen. H. R., eine Frau, die vor einem Monat in Inschaat von den schabbiha entführt und vier Tage später zusammen mit zwei anderen Mädchen im Austausch gegen von der FSA entführte Regimetreue wieder freigelassen wurde. Es gibt auch die Familie S. in Inschaat, deren Tochter H. S. fünf Tage lang festgehalten wurde. Abu Abdallah, der Militärarzt, kennt sie.
Kurz vorher hat Abu Abdallah mir eine schöne misbaha 41 aus kleinen Glasperlen in den Farben des freien Syriens geschenkt, die sein Bruder im Gefängnis gemacht hat.
Ali, ein anderer Arzt, zeigt uns seinen mit Narben übersäten Oberkörper. Er hat am 28. Oktober mehrere Kugeln abbekommen, davon eine 1 cm vom Herzen und eine 1,5 cm von der Wirbelsäule entfernt. Schabbiha , vier mit Kalaschnikows und einem Maschinengewehr bewaffnete Männer in einem schwarzen KIA, sind ins Viertel gekommen und haben die Männer der FSA freundschaftlich begrüßt, dann haben sie die Demonstration zusammengeschossen. Danach konnten sie durch Kfar Aaja zur Straßensperre fliehen. Es gab sechs Tote, darunter eine Frau. Raed erinnert sich daran, er hatte die Leichen fotografiert. Ali war bereits zum schahid ausgerufen worden, und man hatte angefangen, sein Grab auszuheben. »Ich bin der lebende Märtyrer.«
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Gerade als wir zu Hause ankommen, wieder Schüsse, einige recht nah (offenbar Angriffe). Heftige Schusswechsel. Etwas später geht es wieder los, nachdem ein Mörser detoniert ist, dann wird es immer intensiver. Es ist 10.45 Uhr. Wir ziehen uns an und gehen raus, eskortiert von Alaa, der eine AK-74 42 trägt. Wir gehen zur Kommandozentrale von Hassan, wo ein paar Männer im Dunkeln, nur im Licht eines Handys, versuchen, ein Maschinengewehr zu laden, das ganz offensichtlich Ladehemmung hat. Wir gehen weiter, mit einem anderen Soldaten, die Straße zwischen den halbzerstörten Gebäuden entlang, auf der wir gestern waren. Als wir an einer Kreuzung ankommen, deren eine Straße zu den Stellungen der Armee führt, erklärt uns Alaa, dass wir schnell hinüberrennen müssen. Wir rennen schnell. In dem Moment fängt der Posten an zu schießen, erst einzelne Schüsse, dann Salven. Wir laufen weiter, wir suchen Hassan. Dann ruft der andere Soldat ihn auf dem Handy an. Er ist nach Inschaat gefahren, wo der Hauptangriff stattfindet. Wer hat angefangen? »Wir greifen niemals an«, antwortet Alaa. »Wenn die Armee angreift, verteidigen wir uns.« Wir drehen um, rennen wieder über die Straße und kehren dann zu unserem Haus zurück.
Erstaunliche Ruhe während der Minuten, in denen wir in einer dunklen Straßenecke versuchen, Hassan zu erreichen. Salven von verschiedenen Seiten, und wir ganz ruhig und gelassen in der Kälte.
*
Imad erzählt uns eine andere Version der Geschichte
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