Notruf 112
natürlich die nächste, gestochen scharf formulierte Abfuhr ein. In seiner Stimme klirren jetzt Eiszapfen: »Und ich sagte Ihnen bereits, dass ich Termine habe, die keinen Aufschub dulden. Ich habe meiner Bürgerpflicht Genüge getan und Sie informiert. Das muss Ihnen reichen. Ich kann und will das jetzt wirklich nicht mehr mit Ihnen diskutieren. Guten Tag.«
Gespräch beendet. Einfach aufgelegt. Gibt’s doch nicht!
Der Kollege nebenan signalisiert, dass bereits andere Autofahrer angehalten und Erste Hilfe geleistet haben. Der Patient war allein im Auto und ist schon wieder ansprechbar. Die Sache scheint also glimpflich abgelaufen zu sein.
Nachts liege ich mal wieder wach im Bett und frage mich, ob und wie der ehrenwerte Herr Feldmann überhaupt noch ruhig schlafen kann. Ich hätte größte Lust, ihn wegen unterlassener Hilfeleistung hinzuhängen, und weiß doch, dass das überhaupt keinen Sinn macht und juristisch wahrscheinlich auch nicht haltbar wäre. Immerhin hat er angerufen. Mehr war von diesem Mann, der es offensichtlich gewohnt ist, stets andere für sich arbeiten zu lassen, wohl nicht zu erwarten. Sind Egoismus und zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber den Nöten der anderen der Preis für unsere hektische Zeit? Gibt es wirklich Menschen, die es als Zumutung empfinden, ohne Gegenleistung Verantwortung für andere zu übernehmen? Ja, die gibt es leider. Er kann einem eigentlich nur leidtun, der ehrenwerte Herr Feldmann.
Wenn einer eine Reise tut …
Der Feuerwehrmann an sich ist ein sehr soziales Wesen, das gerne hilft, äußerst kontaktfreudig ist und mit Begeisterung Freundschaften weit über alle Grenzen hinaus pflegt. Die Kollegialität der Feuerwehrleute untereinander ist in der Tat legendär. Man scheut weder Kosten und schon gar keine Mühen und kann sich eigentlich weltweit auf die Kollegen verlassen.
Das wissen natürlich auch die Feuerwehrleute im Ruhrgebiet, die sich an einem Wochenende im Jahr 2006 mit einem Konvoi von fünf ausrangierten, 25 Jahre alten Feuerwehrfahrzeugen auf die 4000 Kilometer lange Reise über Brindisi und Izmir in die türkische Hafenstadt Mersin am östlichen Mittelmeer machten. Dort wurden die Fahrzeuge »Made in Germany« bereits sehnsüchtig erwartet. Viele ehemalige Feuerwehrfahrzeuge aus Deutschland erleben in diesen Ländern ihren zweiten Frühling – ein Akt der humanitären Hilfe für Regionen, die nun mal nicht das Geld für neue Fahrzeuge haben.
Leider stand die Fahrt der Kollegen aus Nordrhein-Westfalen nicht gerade unter einem guten Stern und endete erstmals abrupt mit dem hässlichen Geräusch entweichender Luft nach 300 Kilometern etwa auf der Höhe von Aschaffenburg. Ein Reifenplatzer – der klassische Standschaden an Fahrzeugen, die längere Zeit nicht bewegt wurden. Das Reifengummi wird auf die Dauer spröde. Und schon klingelte bei mir kurz nach dem Mittagessen das Telefon: »Wir haben soeben unseren letzten Reservereifen aufgezogen, befürchten aber, dass das nicht der letzte Reifenplatzer war. Habt ihr in München rein zufällig noch solche Reifen?«
Nun gibt es zwischen Aschaffenburg und München eine ganze Reihe Feuerwehren, die nun wirklich sehr viel näher dran wären. Die Wahl der Kollegen war jedoch von Anfang an auf uns gefallen. »Wir haben halt die besten Erfahrungen mit euch in München gemacht«, begründete der Kollege seine Entscheidung. Danke für die Blumen.
Der Grund für unseren guten Ruf verbirgt sich hinter den Toren der Feuerwache 9, und zwar in Form der anerkannt guten Kfz-Werkstatt inklusive eines Lagers, das wir liebevoll »Flohmarkt« nennen. Unser diensthabender Fahrzeugmeister Werner vollbringt dort nämlich wahre Wunder und hortet ungeahnte Ersatzteilschätze aus der Welt der Feuerwehrfahrzeuge der letzten 50 Jahre. Es würde niemanden wundern, wenn er für unseren ältesten Oldtimer –, einen 53 Jahre alten, toprestaurierten BMW V8 von 1959 –, falls notwendig, mal eben einen neuen Kotflügel hervorzaubern würde. Der Dienststellenleiter und der diensthabende Direktionsdienst gaben grünes Licht. Und so suchte Werner in seinem ungeheuren Sammelsurium mehrere passende Reifen für die pannengefährdeten Blaulicht-Schnauferl.
Der nächste Hilferuf von der Autobahn ließ nicht lange auf sich warten und kam um 23 Uhr – diesmal von der Autobahn bei Allershausen, immer noch 40 Kilometer vor den Toren Münchens. Soeben hatte sich auch der letzte Reservereifen zerlegt. Damit war so kurz nach dem Start bereits die
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