Notrufsender Gorsskij
ausdenken. In der Praxis sahen sie ganz anders aus.
4.
Ehe ich eingeschlafen war, hatte ich Hannibals Hand umfaßt. Unsere Betten waren zusammengeschoben worden. Damit ich den Kontakt zu dem Kleinen nicht verlor, hatte unser Para-Mediziner, Dr. Samy Kulot, eine Mullbinde angelegt. So konnte mein Esper-Impulsstrom auch während der Ruheperiode auf Hannibal überfließen und ihm helfen, die letzten Spuren seines tiefgreifenden Schockes zu überwinden. Samy hatte diesen Vorschlag gemacht. Die Idee war nicht in meinem Gehirn entstanden.
Hannibals Zustand hatte sich im Verlauf von sechsunddreißig Stunden wesentlich gebessert. Der Oberarmbruch konnte infolge der neuen Plasmaverbände in weiteren vierundzwanzig Stunden vollkommen verheilt sein. Das synthetisch erzeugte Biopolplast wirkte Wunder. Es beschleunigte die normale Zellteilung um das Vieltausendfache. Um so schneller schritt ein Heilungsprozeß voran.
Unter dem Bildwerfer des Sammelmikroskopes, das zu Kontrollzwecken alle vier Stunden angeschlossen wurde, konnte man die Neubildung des Knochen- und Hautgewebes einwandfrei beobachten. Es geschah in der atemberaubenden Schnelligkeit einer Zeitrafferaufnahme.
Ebenso, wie man nach dieser Technik das Aufblühen einer Pflanze verdeutlichen kann, vollzog sich der Heilprozeß in Hannibals Bruchwunde.
Darüber brauchten wir uns wirklich keine Sorgen zu machen. Nur der Schock saß tiefer als angenommen. Der Kleine hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Paraenergien aufgenommen als ich. Die Erklärung dafür war einfach; vorausgesetzt, man sah die Dinge an sich als begreifbar an. Wenn man sich dagegen sträubte und sich nach alten Schulweisheiten vorgaukelte, »so etwas« könne es einfach nicht geben, dann waren alle Bemühungen zwecklos.
Personen, die sich willig und konzentriert mit den Effekten der Paratechnik beschäftigten oder sich damit beschäftigt hatten, fanden schnell die richtige Lösung.
In diesem Falle wurden widersinnig anmutende Geschehnisse verständlich. Der damit verbundene Wahnsinnsfaktor gewann an logisch fundierten Grundlagen.
Hannibal hatte die Geschehnisse nach diesen Richtlinien durchgearbeitet und seine innere Ruhe wiedergefunden. Ich war darüber sehr froh.
Es war kurz vor Mitternacht. Noch schrieben wir den 8. August 2010. Wovon ich geweckt wurde, sollte ich erst später erfahren. Wahrscheinlich waren es aber Hannibals heftige Körperzuckungen gewesen, die durch die zusammengebundenen Hände auf mich weitergeleitet wurden.
Ich fuhr ruckartig auf und riß durch meine heftige Bewegung den Kleinen mit aus der Ruhelage.
Wir hatten keine Zeit mehr, uns über das. Warum zu verständigen. Etwas oder jemand war nicht bereit, uns die geringste Chance zu geben.
Ich griff zur bereitliegenden Waffe und hängte meinen Schutzschirmprojektor um den Hals.
Hannibal schrie auf. Ich hatte nicht mehr an die gefesselte Hand gedacht und ihn im Verlauf meiner schnellen Bewegung halbwegs auf meine Bettseite hinübergerissen.
Seine Oberarmverletzung konnte das noch nicht ertragen und bereitete ihm Schmerzen.
Er begriff die Sachlage jedoch sofort. Ohne meine Waffenhand anzurühren, löste er den vorsorglich angelegten Patentknoten mit einer geschickten Drehung seines rechten Handgelenkes. Nun war ich frei und konnte mich aufrichten.
»Kontakt«, flüsterte der Kleine.
Ich sah einen huschenden Schatten und vernahm ein Scharren – dann war Hannibal vom Krankenlager verschwunden. Er hatte sich trotz des umfangreichen Biopolplastverbandes auf den Boden fallen lassen und
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