Nottingham Castle, letzte Tuer links
den
Weg zu ihrem Grab noch immer wie von allein. Die hängenden Äste der Trauerweide
hatten beim letzten Besuch nur bis zu seinem Kopf gereicht, aber nun berührten
sie fast den Boden. Er schob sie zur Seite, duckte sich ein wenig, und stand
nun vor ihrer letzten Ruhestätte.
„Cecelya” , war in schnörkellosen Buchstaben in ein halb
verwittertes Holzkreuz geritzt worden.
Er
wusste noch genau, wie er nach ihrem Ableben getobt hatte, dass sie einen
Grabstein bekommen sollte, das kindliche Gesicht nass vor Tränen. Eine Ohrfeige
hatte er dafür geerntet von Lady Nottingham, weniger für den unpassenden Wunsch
als für sein unangemessenes Weinen. Beides stand einer gewöhnlichen Amme
natürlich nicht zu, ihrer Meinung nach. Und ihm als künftigen Herrn des Castles
würde sie die Heulerei schon noch austreiben, hatte sie verkündet.
Heimlich
hatte er sich manchmal hierher geschlichen, unter dem Vorwand, mit seinem neuen
Schwert unbeobachtet üben zu wollen. Hatte in den Wiesen des weitläufigen
Innenhofs und am Rand des Bachlaufs bunte Blumen gepflückt und sie auf Cecelyas
schmuckloses Grab gelegt. Unbeholfen ein Kreuzzeichen geschlagen, denn er hatte
gewusst, dass sie gläubig gewesen war. Im Gegensatz zur Burgherrin, die ihm
stets zu verstehen gegeben hatte, dass dieses Kirchengetue nur etwas für die
dummen, einfachen Leute war.
Nun
stand er also wieder hier, am Grab seiner wahren Mutter. Nur undeutlich konnte
er sich noch an ihr Gesicht erinnern. Ihre Augen, die sah er noch vor sich.
Dunkel und warm waren sie gewesen, so ähnlich wie die von Susannah. Verdammt,
schon wieder war die in seinem Kopf!
Ärgerlich
fuhr er sich durchs Haar, beugte sich dann hinunter und riss mit den blanken
Händen ein paar Unkräuter, die sich unter dem Kreuz breitgemacht hatten, aus
dem Boden.
Cecelyas
Stimme fiel ihm ein, wenn sie ihm leise ein kleines Liedchen ins Ohr gesummt
hatte. Er auf ihrem Schoß, ganz unscharf war die Erinnerung, aber sie kam
langsam zurück. Ihr fülliger Körper, alles weich und sanft, gepolsterte Arme um
ihn herum, in denen er sich geborgen fühlte. Dazu diese wehmütigen Melodien…
Oder
die Geschichten, die sie ihm erzählt hatte. Alte Legenden.
Wenn
ihre Herrin in der Nähe gewesen war, hatten diese stets von starken und
unerschrockenen Helden gehandelt.
Allein
mit ihm jedoch hatte sie Nebenfiguren eingeflochten, junge Knappen, die für
liebliche Edelfrauen entbrannten, oder einsame Ritter, die für die Ehre ihrer
Angebeteten mutige Kämpfe auf sich nahmen und dann mit einem heimlichen Kuss hinter
schützenden Vorhängen belohnt wurden. Als kleiner Knabe hatte er ihr andächtig
gelauscht. Zumindest bis die gestrenge Herrin, die er damals für seine Mutter
gehalten hatte, dazwischen gegangen war, fluchend, voll Hass auf
verweichlichende Erzählungen.
Erst
später war ihm klar geworden, dass viele dieser Figuren in den alten Sagen eigentlich
gar nicht auftauchten. Cecelya hatte sie dazugedichtet oder auch manches Ende weniger
schrecklich erscheinen lassen. Als er das damals herausgefunden hatte, war ihm
ein Schmunzeln ausgekommen über die sentimentale Amme und ihre Sehnsucht nach schnulzigen
Märchen.
„Dabei
warst du meine wahre Mutter”, murmelte er halblaut vor sich hin, „und wolltest nur
die Grausamkeiten deiner Herrin ein wenig ausgleichen.”
Cecelyas
Mann, seinen „Vater”, wie ihm nun erst bewusst wurde, hatte er nie kennengelernt.
Der hatte irgendwo im Dorf gearbeitet und war der Ruhr zum Opfer gefallen, als er
noch ein kleines Kind gewesen war, das hatte sie ihm einmal berichtet.
Er erhob
sich und klopfte die Erde von seinen Händen. Unsicher stand er vor dem Kreuz
und dachte angestrengt nach, was er an dieser Stelle sagen sollte. In solchen
Dingen hatte er keine Erfahrung.
„Ruhe
in Frieden, Mutter”, fiel ihm schließlich ein.
Dann
zog er die Schultern gerade, schlüpfte durch den Weidenvorhang und ging mit
energischen Schritten zurück ins Castle, in dem es viel zu tun gab. Für ihn.
Den Sohn einer niederen Amme. Der sich bald aufmachen würde zum Hofe des
Königs, eine Dame von noblem Stand ehelichen und über Macht und Ansehen
verfügen. Er nickte den Wachen huldvoll zu, die am hinteren Tor postiert waren.
Seine
Hand zögerte nur einen winzigen Augenblick. Dann holte er tief Luft, drückte
die Tür auf und brüllte einen Diener an, der es gewagt hatte, ihn nicht
untertänigst zu grüßen.
8 Robin von Locksley
„Nehmt
den Halunken sofort
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