Nottingham Castle, letzte Tuer links
der Hals kratzte.
So
sah also ihr Ende aus. Im Dreck liegend. Ohne ihren Vater noch einmal gesehen
zu haben. Und ohne bei Eadric ihre Worte richtiggestellt zu haben. Susannah
rang nach Luft, ihr wurde schwindlig, alles verschwamm vor ihren Augen. So
gerne hätte sie ihn noch gesehen, ein einziges, winziges Mal noch, seine Stimme
gehört, seine Hände auf ihrer Haut gespürt, seinen Blick auf ihr gefühlt, voll
Wärme und Zuneigung…
Von
irgendwoher hörte sie etwas poltern. Sie schluckte rau, hustete, rappelte sich
auf. War das hier unten im Gang?
„Sie
kommen”, keuchte Lady Nottingham, die Stimme schwach und trotzdem von Triumph erfüllt.
Susannah
konnte es kaum glauben, als die Geräusche näher kamen, Schreie, klirrendes
Metall, Schritte. Sie starrte wie gebannt auf die dicke Holztür und tatsächlich
– sie wurde aufgerissen!
„Eadric!”,
rief Lady Nottingham durch den dichten Rauch.
Doch
es war der blonde Schopf von Allen-a-Dale, der erschien.
„Susannah,
Gott sei Dank”, rief er. „Dein Vater hätte mir den Kopf abgerissen, wenn ich
ohne dich hier wieder herausgelaufen wäre. Komm schnell!”
Er
packte sie an der Hand und zog sie nach draußen in den Gang, wo die Frauen und
Kinder aus dem Dorf, die ebenfalls in letzter Minute befreit worden waren, in
Richtung Treppe stürmten. Robin stand mitten unter ihnen und dirigierte sie
nach oben. Qualm verdunkelte die Sicht und drang in die Lungen ein, sodass
jeder hier unten hustete und nach Frischluft gierte.
Allen
hielt Susannah fest im Griff und half mit der freien Hand einem gestrauchelten
Jungen auf die Beine. Er trieb alle zur Eile an.
„Los,
weiter, die Flammen sind schon auf dem Weg hier runter”, brüllte er. „Hier wird
gleich alles lichterloh brennen.”
Susannah
riss an seinem Arm. Er wandte sich um und sah sie überrascht an.
„Wir
müssen sie auch mitnehmen”, erklärte sie.
„Wen?”
„Lady
Nottingham, die Mutter des Sheriffs. Hast du sie nicht gesehen? Sie kann nicht
gehen, sie sitzt in einem rollenden Stuhl.”
Er
sah sie an, als wäre sie irre.
„Allen,
sie ist noch da unten”, beharrte Susannah und blieb stur stehen, während alle
anderen an ihnen vorbeiliefen. Robin stürmte schon die Treppe hinauf, vorbei an
zwei toten Wachen, die mit den Gesichtern nach unten am Absatz lagen.
„Sie
ist die Mutter dieses Untiers, sie soll in der Hölle schmoren wie er!”, fauchte
er.
Susannah
riss seine Hand von ihm los. „Aber dann sind wir nicht besser als diese Leute!
Wir können sie doch nicht einfach verbrennen lassen. Allen!”
Er
schnaubte. „Also gut, ich hol sie.”
„Und
den Stuhl, da brauchst du noch jemanden!”
„Verflucht,
Susannah, du bist wirklich eine Plage!” Er rief einen von Robins Männern herbei
und zu zweit rannten sie zurück zum Verlies, aus dem die Lady schon
herausgerollt war.
„Lass
mich in Ruhe”, kreischte sie, als Allen sie hochhob und nach vorne trug. „Ich
will lieber hier unten bleiben, als von einem Halunken gerettet zu werden!”
Sie
schlug mit ihren kleinen Fäusten auf Allen ein, doch der blieb unbeeindruckt
und schritt weiterhin, mit ihr auf den Armen, der rettenden Treppe entgegen.
Hinter
ihm schleppte sein Gefährte den Stuhl heran.
Ein
heftiger Hustenanfall schüttelte Susannah. Sie wandte sich nach vorne und lief
die letzten Stufen hinauf. Oben angekommen blickte sie sich um. Aus dem linken
Gang schlug ihr prasselnd das Feuer entgegen, also rannte sie nach rechts.
Sie
musste wissen, ob Eadric noch am Leben war!
In
allen Gängen tobten die Kämpfe. Schreie hallten durch die ganze Burg, verletzte
Soldaten und Männer aus dem Dorf lagen stöhnend auf dem Boden und das Feuer
bahnte sich immer weiter seinen alles vernichtenden Weg in das Castle hinein.
Mehrere
Male wollte Susannah am liebsten stehen bleiben und einem Verwundeten helfen.
Doch wo sollte sie anfangen?
Sie
presste das nasse Tuch weiter vor den Mund und rannte wie von Sinnen die Flure
ab. Obwohl sie mit ihrem Vater zusammen schon mehrmals Verletzte versorgt
hatte, war sie noch nie bei einem Gemetzel dabei gewesen und wollte vor
Entsetzen am liebsten die Augen schließen und die Ohren zuhalten. Noch nie
hatte sie so etwas Fürchterliches gesehen.
Sie
stürmte weiter, bis sie am Burghof ankam. Der Galgen stand in Flammen.
Offenbar
hatten Robins Leute und die Männer aus dem Dorf die Lage im Griff, denn
Susannah sah, dass die Wägen den Hof verließen, voll besetzt mit den frei
gelassenen Kindern und Frauen.
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