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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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bereit machen, am 1.Dezember alles Gebiet westlich von Düsseldorf und Neuß passiert zu haben und sich nicht westlich einer Linie erwischen lassen, die von Düren, Salm, Bernkastel, Rhein bis zur Schweizergrenze läuft. Dann war es noch nicht genug, sie hatten sich aus dem ganzen Rheinland zu verfügen und bis zum 9.Dezember den Rest des linken Rheinlandes freizugeben. Die Feinde würden ihnen auf den Fersen sein und ihnen auf das Ostufer des Rheins nachfolgen, wo sie Köln, Koblenz und Mainz in dreißig Kilometer Tiefe besetzen wollten.
    Es marschierte, fuhr, flog Infanterie, Jäger und Radfahrer, Kavallerie, Feldartillerie, Fußartillerie, Pioniere und Minenwerfer, Maschinengewehr- und Nachrichtenformationen, Fliegerabteilungen, Artillerieflieger, Bombengeschwader, Jagdstaffeln.
    Der Regen fiel. Die Straßen waren aufgeweicht, Lokomotiven gab es wenig. Was Beine hatte, mußte marschieren, die Chausseen stopften sich mit Truppen, mit Artillerie, Reitern und Material voll. Dazwischen und daneben lief Zivil, aus Dörfern und Städten, mit Sack und Pack. Wohin man kam, klebte der Anschlag des Generalfeldmarschalls: »Bis zum heutigen Tag haben wir unsere Waffen in Ehren geführt. In treuer Hingabe und Pflichterfüllung hat die Armee Gewaltiges vollbracht. Aufrecht und stolz gehen wir aus dem Kampf.«
    Sie hatten ihre Beine, Wagen und Flugzeuge nur noch, um nach Hause zu kommen. Ihre Gewehre, Maschinengewehre und Kanonen schienen ihnen nicht ohne Bedeutung, denn man marschierte durch Feindesland, und man wollte sie von rechts und links überfallen und Rache nehmen.
    Der Lazarettzug aus unserem Städtchen fuhr noch, Becker hatte eben seinen Gesang an den süßen Frieden begonnen, der gute Oberstabsarzt lebte noch in dieser besten aller Welten, das geschenkte Schweinchen quietschte noch vergnügt im Packwagen, denn man mästete es ungeheuer für den kommenden Sonntag, es war Freitag, der 15.November – da fielen Brocken des deutschen Heeres schon über die Grenze. Fünftausend deutsche Soldaten drangen über die holländische Grenze, weil andere Wege verstopft waren. Zehn Automobile mit Offizieren fuhren an ihrer Spitze. Holländische Gendarmen und Militärkraftfahrer entwaffneten sie, die Herren machten keine Umstände, sie gaben ab, was sie hatten. Wenn man später Waffen brauchte, würde man sie schon bekommen. Manche Offiziere kamen ohne Rangabzeichen, andere trugen sie. Die Holländer wußten nicht, was das zu bedeuten hatte, die deutschen Herren zeigten alle verschlossene Gesichter. Die Mannschaften kamen in geschlossenen Kompanien an. Als sie aber über die Maasbrücke marschierten, machten sie es sich bequem. Da wimmelte Bevölkerung und wußte, es gab was zu erben. Und die Soldaten enttäuschten sie nicht. Schmerzlos nahmen sie Abschied von ihren Stahlhelmen, von den Gasmasken und verschenkten sie; sie stülpten den Knirpsen die Gasmasken mit den fürchterlichen Rüsseln über, aber manche Helme ließ man auch mit einem frommen Segenspruch über das Brückengeländer segeln. »Zollrevision!« schrien sie fröhlich, »wer hat was zu verzollen.« Zu Hunderten wurden sie herübergelassen, entwaffnet und wandelten leichten Schrittes weiter ihres Wegs. Zwischen ihnen gab es auf Fahrrädern Gestalten, die die Herren im Automobil vorn diskret Schimmelpilze nannten, Mitglieder des Soldatenrats, sie trugen an den Armen weiße Bänder, auf denen magisch rätselhafte Buchstaben standen, etwa R. R. Es ging den Räten nicht anders auf der Brücke wie Soldaten und Offizieren, sie wurden entwaffnet. Und so geplündert und vereinfacht marschierte, fuhr und radelte alles nach Deutschland hinüber, eskortiert von holländischen Gendarmen und Militärkraftfahrern.
    Am selben Freitag passierte, ihnen weit voraus, der erste große Truppenrücktransport Berlin, die wirre, aufgewühlte Reichshauptstadt (aber war sie noch Hauptstadt des Reichs, welches Reichs?) – zehn Durchgangs- und mehrere Viehwagen. Sie fuhren von Charlottenburg nach Lichtenberg durch, in Lichtenberg wurden sie auf dem Bahnhof verpflegt. Es war ein sehenswerter Transport, und man erhielt einen Vorgeschmack von dem, was noch kommen würde. Die Soldaten standen auf den Trittbrettern, lagen auf den Dächern. Mit Tornistern, Sandsäcken, Kisten war der Zug behangen wie ein Weihnachtsbaum. Unermüdlich sangen die Soldaten ihre Rückkehrlieder. Es waren offensichtlich nicht vaterländische Gesänge.
    Als sie durch die flache Mark fuhren, standen neben dem rollenden Zug

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