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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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holländische, spanische Hilfskomitees, sie beruhigten und gaben, soviel sie konnten, aber die Menschen waren in Panik, als das Krachen sich näherte und die deutschen Truppen durch ihre Orte rasselten und sich zwischen ihnen verschanzten. Man lief und fuhr davon mit Karren, mit Kindern auf dem Arm, Betten auf dem Rücken und geriet in neue deutsche Linien. Man gab, was man hatte, für Wagen und Pferde. Sie flohen aus Douai zu Tausenden auf einmal, als sich der Kanonendonner näherte, für einen Kinderwagen zahlte man tausend französische Franken. Die Bauern beluden ihre Ochsen, Kühe und Esel – die Pferde waren ihnen längst genommen –, sie setzten ihre Frauen und Kinder darauf, man zog Tag und Nacht. Die Tiere konnten aber nicht gefüttert werden, man mußte sie unterwegs schlachten, dazu taten sich Flüchtlinge zusammen und kochten und aßen sie unter Zeltdächern auf freiem Feld, unter Kanonendonner, Krachen der Fliegerbomben, Signalraketen. Haufen von Familien lagen zusammen, man setzte sich oft auch nachts aus Furcht in Bewegung. Da verloren viele Kinder ihre Eltern und wurden auf den Landstraßen, durch die sich ein endloser Strom von Flüchtlingen ergoß, von anderen Familien aufgegriffen und weitergeführt.
    Die deutschen Armeen zogen in Ordnung, sie waren Männer und gingen unter Befehl, sie hatten Wagen und Geschütze. Wenn die Kanonen donnerten, so war ihnen das keine Neuigkeit. Sie brauchten nicht zu schreien, wenn sich Flieger zeigten. Sie gingen in Deckung und ließen ihre Abwehrkanonen spielen. In den kleinen Orten, die sie aufgaben, erschossen sie die Hunde und Katzen, die zurückblieben, um sie vor dem Hungertod zu bewahren. Sie wurden umlagert von hungrigen Flüchtlingen. Wo sie ihre rauchenden Feldküchen aufstellten, drängten sich zwischen die Mannschaften Kinder und Frauen. Man verstand nicht die Sprache dieser frostzitternden armseligen Gruppen. Wer aber einen Becher, einen Napf vorstreckte, bekam ihn gefüllt. Es war kein Diner, aber es war, was man hatte. Da gab es Streit zwischen Soldaten und Küchenunteroffizieren, daß sie zu wenig in den Kesseln hätten. Die Leute teilten ihr Brot mit den Flüchtigen; man aß und sah den Kindern zu, wie sie ihr Stück kauten; greulich geht es euch kleinen Burschen, was ist der Krieg, wozu ist es, zu Hause haben wir selber solche kleinen Burschen, vielleicht kommt jetzt der Krieg auch zu uns, wir haben verspielt. Es ging weiter zurück. An Trainwagen, Protzen hängten sich bettelnde Frauen und Kinder. Man setzte größere Kinder, die matt am Wege lagen, auf Kanonen und brachte sie in den nächsten Ort.
    In Lüttich war eine Weltausstellung gewesen, die leeren Hallen standen noch. Als sich der Flüchtlingsstrom anwälzte, leitete man ihn in die leeren, noch gedeckten Hallen. Da saßen im Stroh Eltern beisammen und weinten um ihre Kinder. In der Nacht kreischten wahnsinnig gewordene Mädchen, man mußte sich zu ihnen durchdrängen und sie ins Hospital schaffen. Viele lagen entkräftet da und machten stille Gesichter, daß bald in diese lichten Hallen, die einmal vergnügte Menschen erfüllt hatten, ein Gast trat, dem sie schon so oft auf den endlosen Chausseen begegnet waren: der Tod.
    In dieser Stadt Lüttich erfanden Geschäfte einen besonderen Hohn. Sie stellten in ihre Schaufenster die mächtigen Kupferkessel, die man bei dem Aufruf des Kupfers hinterzogen hatte; die blanken roten Höhlungen füllten sie mit den Bildern ihres belgischen, nun wieder heimkehrenden Königspaares.

    Über die Linien mit den stolzen Namen Siegfried, Hunding, Brunhilde warf sich der Rückzug. Verlassen kämpfte das verlorene Heer in der Hermannstellung, es wehrte sich in der Champagne, an der Maas. An der Schelde, vor Antwerpen führten sie Nachhutkämpfe. Die 1., 3. und 5. Armee setzte sich in der Champagne und an der Maas bis zum 11.November zur Wehr, die 2., 17. und 18. Armee schlug sich in der Hermannstellung, bis sie zusammenschmolz. Als man sich aus den Maasstellungen zurückzog, waren an den Kämpfen fast alle Armeen, Reste, Trümmer der Armeen beteiligt, die 1., 2., 3., 4., 6., 7., 17., 18. Ganze Bataillone und Kompanien wurden ausgerottet. Mit frischen, unaufhörlich zuströmenden Menschenkräften schlugen die Alliierten auf sie ein, mit einem unermeßlichen Reichtum an Kanonen, Tanks, Flugzeugen. Das liegengebliebene Material der Deutschen konnten sie wenden und auf die Fliehenden richten. Die eigenen Gelbkreuzgasgeschosse vergifteten die Deutschen.
    Blut

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