Novemberasche
gemeinsame Abendessen
mit Marie, Anna und Leni. Er hatte versprochen, spätestens um sieben da zu sein. Das war, bevor Walser alles andere beiseitegeschoben
hatte. Eilig erhob er sich, griff nach seiner Jacke, löschte das Licht und verließ das Büro.
☺
»Wer macht so was, was sind das für Menschen?«, fragte Mam beim Frückstück. Ich musste raus, raus aus der Küche, denn sonst
hätt ich schreien müssen: »Ich, ich, dein Sohn ist einer von denen, diesen Schweinen, diesen Drecksäuen, diesen Monstern,
die sich über einen Wehrlosen hermachen.« Später, als sie weg war, las ich den Artikel. Und da stand es: »Obdachloser von
Unbekannten schwer verletzt.«
*
»Geht es dir gut?«
»Aber ja«, beeilte Marie sich zu sagen.
»Du bist etwas blass um die Nase.«
Sie lächelte Sommerkorn an und hoffte, dass er das Thema nicht weiter vertiefen würde. Sie hatte keine Lust, jetzt über ihr
Fallschirmabenteuer zu sprechen. Im Moment genügte ihr das Wissen, am Leben zu sein.
Eine Weile schwiegen sie. In der Ferne war ein Martinshorn zu hören, das langsam lauter wurde und dann wieder verklang. Marie
dachte an den Vorsatz, den sie im Flugzeug gefasst hatte, die Sache mit dem Misstrauen, das sie über Bord hatte werfen wollen.
Doch dann hörte sie sich sagen: »Du hast mir gar nicht erzählt, dass Helen gestern angerufen hat.« Ihre Stimme und ihre Worte
hörten sich schrill an, sie kam sich vor wie eine misstrauische Ehefrau.
Sommerkorn runzelte die Stirn.
»Ach herrje, entschuldige!«, sagte er und klang zerknirscht. »Das hatte ich völlig vergessen.«
Marie öffnete den Kühlschrank und holte die kalten Reste der Abendmahlzeit heraus. »Was wollte sie?«
»Sie wollte dich zu einer Vernissage einladen, damit du einen Eindruck davon bekommst, wie das bei ihnen soabläuft. Ich habe vergessen, um welchen Künstler es geht. Tut mir leid.«
Marie nahm das Olivenöl, träufelte ein paar Spritzer in die Pfanne und gab die Penne al broccoli in das heiße Fett.
»Mich hat sie übrigens auch eingeladen.«
Marie nahm den Kochlöffel und rührte mit sorgsamen Bewegungen.
»Ach.«
»Ja.«
Marie begann, eine Tomate in kleine Stücke zu schneiden, gab die Salatblätter, die sie schon zuvor gewaschen hatte, mit den
Tomaten in eine Schüssel, goss Dressing darüber und bestreute das Ganze zum Schluss mit ein paar Croutons. Ihre Bewegungen
waren konzentriert und ruhig.
»Und? Wirst du hingehen?«, fragte sie.
»Ich dachte, wir könnten zusammen hinfahren.«
Spurenklauben
Der
Spiegel
bezeichnete den
Landser
in einem Artikel einmal als »Fachorgan für die Verklärung der Wehrmacht«, und der Autor Ernst Antoni sieht ihn als »Einstiegsdroge
in die Neonazi-Szene«.
(Wikipedia, die freie Enzyklopädie,
über die wöchentlich erscheinenden Romanhefte
Der Landser
, 2. 5. 2010)
Der Termin für die Besprechung war für acht Uhr anberaumt und verschob sich etwas nach hinten, da der I T-Spezialist des LKA, den die SOKO Martìn angefordert hatte, im Stau auf der B31 stand. Eine halbe Stunde später waren alle Beteiligten
anwesend, und der Erste Kriminalhauptkommissar Andreas Sommerkorn gab für den neu hinzugekommenen Kollegen eine knappe Zusammenfassung
der Ereignisse.
Es gab eine Gruppe im Team, die der Meinung war, im Fall Martìn kurz vor dem Durchbruch zu stehen; sie lehnten sich gewissermaßen
bereits zurück und warteten nur noch auf das Ergebnis der DN A-Analyse und die damit einhergehende Verhaftung von Oberstudienrat Walser. Doch Sommerkorn ließ sich nicht beirren und verfolgte weiter
den eingeschlagenen Kurs: die Ausleuchtung des Umfelds von Matthias Wölfle. Dazu gehörte auch die Sichtungdessen, was der Junge mit seinem PC tagein, tagaus getrieben hatte.
Als die Besprechung gegen halb zehn zu Ende war und die Aufgaben für den Tag verteilt waren, machten sich Sommerkorn und der
I T-Kollege des LKA auf den Weg zur Wohnung von Frau Wölfle. Hinter dem Steuer des Dienstfahrzeugs fiel Sommerkorn wieder ein, dass er
dringend den Alten anrufen musste. Er wird immer unwirscher, wenn da eine Steigerung überhaupt noch möglich ist, dachte er.
Und hoffentlich würde er es heute Abend rechtzeitig auf die Vernissage schaffen. Der Event selbst war ihm zwar herzlich gleichgültig,
aber es war eine willkommene Gelegenheit, einmal mit Marie allein zu sein. Heute Abend, so hatte er sich fest vorgenommen,
würde er ihr zeigen, wie sehr er sie mochte. Und
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