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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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da Sommerkorn kein Mann großer Worte war, blieb ihm wohl nichts anderes übrig,
     als sie einfach zu küssen.
    Die nächsten Stunden verbrachte er an der Seite von Ralf Engelmann, dem Beamten des LKA, einem schmalen und bebrillten Computerfreak,
     der aussah wie ein spätpubertierender Hacker, nach seinem Dienstgrad zu urteilen jedoch mindestens Mitte bis Ende zwanzig
     sein musste. Ralf Engelmann hatte, wie sich bald zeigen sollte, einen eigenen, um nicht zu sagen schrulligen Humor, den Sommerkorn
     erst nach einer Weile zu deuten in der Lage war. Jedenfalls wurde den beiden Kollegen schnell klar, dass Matthias Wölfle sich
     gut mit seinem PC auskannte und dass der PC professionell gesichert war. Der Junge besaß Tools zum Generieren von Internetseiten
     und jede Menge Musik, die sich nach ein paar Liedzeilen als rechtsextremer Unfug der schlimmsten Sorte entpuppte. Nach einem
     Blick auf die Songtitel glaubte Sommerkorn, diese schon einmal gesehen zu haben. In Leanders Zimmer, erinnerte er sich. Viktoria
     hatte also zumindest in diesem Punkt die Wahrheit gesagt.
    Welche Sites Matthias im Internet besucht hatte, konnte Engelmann nicht feststellen, da der Junge, unmittelbar bevor er am
     Freitagnachmittag die Wohnung verlassen hatte, alle gespeicherten Daten gelöscht hatte. Die zuletzt in Word geöffnete Datei
     hieß Ex-List.doc, konnte aber nicht geöffnet werden, da Matthias sie extern gespeichert hatte. Sommerkorn öffnete die Schreibtischschubladen
     der Reihe nach. Er fand Büromaterial und allerlei Kleinkram, aber keinen US B-Stick .
    »Der Typ ist ein Listenfreak«, sagte Engelmann nach einer Weile, während er eine Datei nach der anderen öffnete. Sommerkorn,
     der inzwischen bei Matthias’ Schrankwand angelangt war, trat näher und warf einen Blick auf den Bildschirm.
    »Der hat alles aufgelistet. Hier sogar eine Packliste. Muss für eine Rucksacktour oder so gewesen sein. Er hat alles abgewogen
     wie für eine Expediton auf den Nanga Parbat.«
    Sommerkorn las: »Socken: 193,87   g, Lasagne: 275,00   g.«
    Engelmann machte einen Doppelklick. »Und hier hat er die Hefte verzeichnet, die er im letzten Schuljahr gekauft hat   … Ein Kontrollneurotiker ist nichts gegen den.«
    Sommerkorn trat wieder an die Schrankwand und setzte seine Suche nach dem Stick fort. Der Junge hatte mindestens fünfzig
Landser -Hefte
im Regal. Einer von Sommerkorns Kumpel zu Schulzeiten hatte auch ein paar von den Heften besessen, und Sommerkorn hatte diese
     schon damals als den reinsten Müll empfunden. Aber die Inhalte waren unter manchen noch heute aktuell und hatten seit der
     Wende einen Aufschwung erlebt. Sommerkorn blätterte in den Kriegsgeschichten der deutschen Wehrmacht, als er Engelmann hinter
     sich lachen hörte. »…   Öffnungszeiten hat der aufgelistet   …«
    »Wie bitte?« Sommerkorn senkte das Heft.
    »Der Junge hat Öffnungszeiten von Dönerbuden hier in der Gegend festgehalten. Wie beim Generalstab. Aber was das in der letzten
     Spalte bedeutet – ›ex‹
?
«
    Sommerkorn legte das Heft ins Regal zurück; mit zwei Schritten stand er hinter Engelmann. In der Tabelle waren Namen und Adressen
     sämtlicher Dönerbuden in der näheren Umgebung von Friedrichshafen aufgelistet.
    »Darf ich mal?« Sommerkorn beugte sich hinunter und suchte die Liste durch. Sie bestand aus vier Spalten, in der ersten stand
     der Name der Dönerbude, in der zweiten die Adresse, in der dritten – das war die umfangreichste – eine genaue Wegbeschreibung
     samt Busverbindung zu der jeweiligen Dönerbude. Die vierte Spalte war die schmalste, die Überschrift lautete »ex«, und in
     drei Zeilen war in diesem Feld ein Kreuz. Sommerkorn starrte auf die Namen der drei markierten Dönerbuden: Sultanimbiss, Ahmet
     Döner und Ötztürk’s

die Imbisswagen, die in den vergangenen sechs Wochen in Flammen aufgegangen waren.
     
    ☺
     
    Ich bin krank. Sitze im Bett, habe Fieber und Mam ist besorgt. Einmal war ich drauf und dran, ihr alles zu erzählen. Aber
     ich habe es nicht getan. Denn ich habe Angst. Angst vor ihrem Blick, dem Unglauben, den ich darin lesen würde. Angst vor ihrer
     Reaktion. Ich bin mir sicher, wenn ich ihr alles verrate, bin ich dran. Sie würde sofort zur Polizei gehen, und dann würden
     sie mich weichkochen. Mich zwingen, eine Aussage zu machen. Dann wäre ich dran. So oder so. Ich weiß, dass ER alles daransetzen
     würde, mich fertigzumachen. Ich habe gesehen, wozu sie fähig sind. Ich habe Angst,

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