Novemberasche
ja in die Brandgeschichte verwickelt. Möglicherweise fürchtete er, dass wir ihnen in der Sache aufdie Schliche kommen würden.« Barbara knickte die Tragflächen erst nach unten, dann nach oben.
Inkat trommelte auf Sommerkorns Computertisch. »Nee, das ergibt ja keinen Sinn. Wenn er nicht verschwunden wäre, hätten wir
doch nicht sein Zimmer durchsucht.«
»Vielleicht dachte er, wir hätten was in Leanders Zimmer gefunden.«
»Ja, wahrscheinlich ist es so, und er ist wirklich untergetaucht.«
Einen Moment lang schwiegen alle. Auf dem Korridor hörte man Schritte, die sich näherten und wieder verklangen. Im Nachbarbüro
klingelte ein Telefon.
»Jedenfalls sollten wir froh sein, dass wir den Fall so schnell lösen konnten«, sagte Barbara.
»Die Fälle. Immerhin haben uns diese Budenbrände ganz schön auf Trab gehalten.« Inkat sah aus dem Fenster.
Sommerkorn, der die ganze Zeit über nachdenklich vor sich hin gestarrt hatte, nahm Barbara erneut das Flugzeug aus der Hand.
»Freu dich doch«, sagte Barbara zu ihm. »Jetzt kannst du endlich ein paar Tage frei nehmen und dich um deine Nichten kümmern.«
Sie stand auf und ging zur Tür, drückte die Klinke hinunter und hielt einen Moment inne, sah von Sommerkorn zu Inkat. Dieser
blickte Sommerkorn an.
»Was ist denn los? Wir haben zwei Fälle gelöst!«
Sommerkorn reagierte immer noch nicht.
»Wie viele Beweise gegen Walser brauchst du eigentlich noch? Klarer kann doch die Schuld gar nicht erwiesen sein.«
Sommerkorn seufzte, griff nach der Maus, klickte ein paarmal darauf herum, und sie hörten, wie der PC heruntergefahren wurde.
»Das mag alles stimmen. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass wir etwas übersehen haben«, sagte er.
»Was denn?« Inkat sah Sommerkorn ungeduldig an.
Sommerkorn blies die Backen auf und ließ die Luft geräuschvoll entweichen.
Die beiden Kollegen betrachteten ihn, registrierten seinen verschlossenen Gesichtsausdruck, die angespannte Haltung. Das kannten
sie. Er brütete etwas aus. Und wenn das so war, ließ man ihn am besten in Ruhe.
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir nicht gründlich genug vorgegangen sind. Dass es da etwas gibt – irgendetwas, eine
Spur, der wir nicht nachgegangen sind. Außerdem haben wir kein Geständnis.«
»Du meine Güte! Wenn wir immer erst darauf warten würden.« Barbara öffnete die Tür, trat zur Seite und ließ Sommerkorn vorbei.
»Wo willst du hin?«
»Ich muss die Mädels vom Kindergarten abholen. Ich hab den Rest des Tages frei. Aber das dürfte ja kein Problem sein, da die
beiden Fälle doch gelöst sind.«
☺
In den Nächten habe ich diese Träume. Alles wiederholt sich, Nacht für Nacht. Und wenn ich aufwache, weiß ich: Das war kein
Traum, das war Wirklichkeit. Ein zur Wirklichkeit gewordener Albtraum. Aber sie lassen mich in Ruhe. Die anderen denken vielleicht,
dass ich immer noch zu ihnen gehöre. Nur Vicky nicht. Ich sehe in ihren Augen, dass sie es weiß. Anyway, ich bin wieder frei,
mich auf die Schule zu konzentrieren. Frau Bärlach scheint sich zu freuen: »Schön, dass du wieder mit dabei bist«, sagte sie
heute. Und auch das Thema, das wir in Deutsch behandeln, scheint vielversprechend. Wir machen eine Projektwoche, Experimente
mit kreativem Schreiben. Als erste Aufgabe sollen wir etwas über einFoto schreiben, auf dem eine griechische Statue zu sehen ist, ein Diskuswerfer. Die alten Griechen liegen mir eh. Wir sollen
ein Gedicht schreiben.
*
Im Vergleich zu gestern konnte man den heutigen Tag fast strahlend nennen. Sommerkorn bog vom Parkplatz seiner Dienststelle
auf die Ehlersstraße und fädelte sich in den Verkehr ein. Zum wiederholten Mal fragte er sich, was ihn an dem Gedanken, dass
Walser der Täter war, störte. Sicher, sie hatten noch kein Geständnis. Aber das kam schließlich nicht zum ersten Mal vor.
Warum war er nicht einfach zufrieden und erleichtert, so wie die anderen auch. Ein Gewaltverbrechen war begangen worden, und
der Polizeidirektion Friedrichshafen war es gelungen, den Täter innerhalb kürzester Zeit dingfest zu machen. Ein schneller,
sauberer Ermittlungserfolg, so hatte es Oehl am Telefon genannt. Barbara und Martin Inkat waren zudem der festen Überzeugung,
dass es nur mehr eine Frage der Zeit sei, bis Walser einknicke und sie sein Geständnis in Händen hielten. Er seufzte. Er konnte
es drehen und wenden, wie er wollte, die Beweislast gegen Walser sprach eine eindeutige
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