Novemberrot
Damenkegelclub inzwischen seine Aktivitäten für heute Abend beendet. Denn mit einem Mal verließen ungefähr zehn Frauen mittleren Alters, sich von Tohn und den anderen Gästen überschwänglich und lautstark verabschiedend, die Wirtschaft.
Gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig, nachdem Weller seinen Hunger und Durst gestillt hatte, wünschte er den verbliebenen Anwesenden eine gute Nacht und kündigte sich bei Rosi im Hinausgehen für den nächsten Morgen an. Schließlich seien zu diesem Zeitpunkt laut ihrer Aussage von heute Mittag alle Familienmitglieder im Gut anwesend und er habe noch einige offene Fragen, die geklärt werden müssen. Sie brachte ihrerseits nur noch ein leises »dann bis morgen und schlafen Sie gut« heraus.
Der Gesichtsausdruck, welchen die Stieftochter des Opfers dem Polizisten als Reaktion auf dessen Vorhaben entgegenbrachte, war für ihn nur schwer zu deuten. Für Weller glich er einer seltsamen Mischung aus ungetrübter Freude, sich so bald wieder zu sehen, gepaart mit der schieren Angst, dass er etwas Unfassbares aufzudecken vermochte.
Fritz legte sich hundemüde ins Bett und zu seinem Glück waren die meisten Gäste ebenfalls bereits nach Hause gegangen. So war bis zur Sperrstunde gegen ein Uhr in der Früh das Stimmengewirr aus der Kneipe nur noch als leises Murmeln im Zimmer zu vernehmen. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um Rosi und das, obwohl er mit Karin seit Jahren liiert war .
» Mensch Junge, du hast eine Freundin und du willst hier einen Mordfall aufklären, also reiß dich gefälligst zusammen!«, versuchte er sich energisch auf das Wesentliche zu fokussieren und schlief gleich darauf ein. Irgendwann in der Nacht, im Taumel des Halbschlafs, war ihm so, als vernehme er leise Schritte auf dem mit Teppich ausgelegten Gang, die langsam näher kommend vor seiner Kammertür stoppten.
Einen Moment später schreckte ihn ein lautes Scheppern im Treppenhaus jäh auf. Gastwirt Pohlert hatte endlich gegen halb drei Feierabend gemacht und die Eingangstür zu seiner Wohnung etwas zu schwungvoll ins Schloss geworfen. Die restlichen Stunden der Nacht verliefen ohne besondere Vorkommnisse und alle genossen ihren wohlverdienten Schlaf, bis das frühmorgendliche Krähen der zahlreichen Hähne den nächsten Tag einläutete.
Kapitel 10
Das kümmerliche Licht des spätherbstlichen Sonnenaufgangs quälte sich mühsam durch den handbreiten Spalt, welchen die beiden dunklen Stoffvorhänge in der Mitte des Fensters offen ließen. Fritz, noch ein wenig schlaftrunken, kletterte behäbig aus dem Bett. Aufgrund der steinharten Matratze schmerzte sein Rücken und er spürte nahezu jeden einzelnen Knochen. Nachdem er sich unter lautem Stöhnen gründlich gereckt und einige Dehnungsübungen ausgeführt hatte, kehrten langsam die Lebensgeister in seinen Körper zurück. Schnell zog Weller nun seinen dunkelblauen Trainingsanzug, zusammen mit den hellen Laufschuhen an.
Und um der Kälte vorzubeugen, hatte er noch wollene Handschuhe sowie eine Strickmütze im Gepäck, die er dazu überstreifte. So begab er sich nach einem Kontrollblick auf seine Armbanduhr wenige Minuten nach halb acht auf die ihm nahezu unbekannte Strecke. Für Fritz war das Laufen der ideale Ausgleich zu seiner Tätigkeit bei der Polizei. Immer wenn es seine Dienstzeit zuließ, trabte er in den Abendstunden drei- bis fünfmal pro Woche durch die beleuchteten Rheinauen Burgstadts. Er brauchte die frische Luft um die Nase. Ganz besonders nach Tagen, an denen er durch die Erledigung lästiger Büroarbeit förmlich an seinem Schreibtisch gefesselt war .
» Und jetzt kann ich sogar das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Denn einerseits bietet sich die Gelegenheit, neue Strecken unter die Füße zu nehmen und andererseits bekomme ich vielleicht die Möglichkeit, etwas Interessantes zu erhaschen, das uns in diesem Fall weiter bringt.« Von diesen Vorsätzen beflügelt führte ihn der Weg in lockerem Tempo zunächst rechts die Niedergasse hinauf zur Dorfstraße, in die er dann nach links in Richtung Ortsmitte abbog. Der kühle Novemberwind fegte die letzten braunen, vertrockneten Blätter von den Bäumen der Vorgärten und wirbelte sie wie ein Mobile durch die Luft. In den schmalen Gässchen des alten Dorfkerns fühlte sich der Läufer, als hätte er soeben eine unsichtbare Pforte, gut fünfzig Jahre zurück in die Vergangenheit, durchschritten.
Der Fahrbahnuntergrund bestand fast ausschließlich noch immer aus Kopfsteinpflaster.
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