Novemberrot
zu schaffen. Aber egal, vielleicht verbarg sich die Antwort in den 1967er Unterlagen und wartete nur darauf gefunden zu werden. Welche Überraschungen und Wendungen würde der heutige Tag denn sonst noch für ihn bereithalten? Doch bei allen Zweifeln, die Wellers Gedanken wie rastlose Pilger auf der Suche nach der seelisch machenden Erleuchtung durchstreiften, gab es eine feste Größe.
Trotzig sagte er immer wieder zu sich: »Dieses Mal versage ich nicht und wenn es das Letzte wäre, was ich mache, dieses Mal nicht!« Fritz, von dieser Maxime beflügelt, schnallte sich das Halfter mit seiner Dienstwaffe um, die er auf dem Wohnzimmertisch abgelegt hatte, steckte das Notizbuch ein und machte sich sogleich wild entschlossen auf ins Büro.
Gegen sechs Uhr im Präsidium angekommen, liefen ihm nur die uniformierten Kollegen von der Nachtschicht über den Weg und er war heilfroh, dass sie ihn nicht mit belanglosem Gequatsche behelligten. Nur wenige Minuten später hatte Weller in seinem Zimmer, des besseren Überblicks wegen, bereits alle Dokumente aus der Akte Heinrich Kreismüller großflächig ausgebreitet.
Dabei nutzte er nicht nur die Arbeitsfläche seines Schreibtisches, sondern belagerte auch den Platz von Kommissarin Franck und fast den kompletten Fußboden. Gleich einem Jäger auf dem Hochsitz, der gespannt auf das erhoffte Wild in der Waldlichtung lauert, sichtete er bebrillt die Aufzeichnungen. Ein Auge ruhte dabei die ganze Zeit über auf Kreismüllers aufgeschlagenem Notizbuch, das er mit seiner Linken festhielt.
Plötzlich, direkt vor seinen Füßen liegend, erfasste sein messerscharfer Blick eine Passage der Zeugenaussage Anton Pohlerts, des Wirts der Dorfkneipe Zur Post, die dieser am Fundort von Heinrich Kreismüllers Leiche den Beamten zu Protokoll gegeben hatte .
» Ja klar, das könnte doch absolut zusammenpassen.« Kommissar Weller rutsche sofort hinunter von seinem Stuhl und hockte sich zwischen die Papiere auf den Boden .
» Mensch, wie hieß der Elzer noch gleich mit Vornamen? Mist, davon steht hier nix!« Fritz fluchte, dass er sich dieses Detail damals nicht notiert hatte .
» Aber der Name sollte in Erfahrung zu bringen sein, schließlich gibts in Mayberg noch genügend, die ihn kannten.« In Gedanken versunken, spulte er eine Reihe von möglichen Personen ab, die ihm sicherlich weiterhelfen konnten und starrte dabei gebannt auf die betreffenden Zeilen in Pohlerts Aussage. Unvermittelt wurde die Bürotür mit Schwung geöffnet und durch den entstandenen Windzug zahlreiche der ausgelegten Papiere aufgewirbelt.
Weller, der mitten in diesem Wust in grellem Neonlicht auf seinen Knien lag, schaute zum Eingang und fauchte sofort: »Ehh langsam, sonst verlier ich noch den Überblick!« Steffi Franck verharrte völlig überrascht im Türrahmen. Eigentlich erschien ihr Kollege nie vor neun Uhr im Büro und jetzt war es gerade zehn vor acht .
» Oh sorry, aber was machst du denn schon hier? Hast wohl eine lange Nacht gehabt, so wie du aussiehst?« Steffi entschuldigte sich bei Fritz, denn dessen tiefe Augenringe und die schweißnasse Stirn waren einfach nicht zu übersehen .
» Was hast du mit dem alten Zeug hier vor?« Weller stand auf und wischte sich mit dem Hemdsärmel über seine Stirn: »Ich glaube, da ist eine Erkältung im Anmarsch. Außerdem konnte ich einfach nicht mehr schlafen. Zu viele rätselhafte Dinge geisterten durch meinen Kopf.« Fritz atmete schwer .
» Aber ich bin mir absolut sicher, dass uns dieses alte Zeug noch sehr hilfreich sein wird. Den entscheidenden Hinweis habe ich zwar noch nicht gefunden, aber so langsam komme ich der Sache näher.« Wellers Worte klangen beinahe beschwörend, wie die eines Medizinmannes, der Manitus Beistand in einem herannahenden Krieg erbat. Zudem liebte es Weller seit jeher in Rätseln zu sprechen, um Andere neugierig zu machen .
» Ja und sag schon!« Kommissarin Franck nervte das Gehabe ihres Partners und sie warf ihre roten langen Haare mit einer Kopfbewegung aus ihrem Gesicht .
» Später, ich muss noch einer Kleinigkeit nachgehen.« Fritz vertröstete sie fürs Erste .
» Na, von mir aus. Ich für meinen Teil beschäftige mich lieber mit der Gegenwart. Und da gilt es, den Mord an Manfred Kreismüller aufzuklären.« Steffi hatte inzwischen ihre silbrige Winterjacke mit samt des weinroten Stoffschals an die Garderobe gehängt. Mit vorsichtigen Schritten, wie wenn man von Stein zu Stein schreitet, um einen Bachlauf trockenen Fußes zu
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