Novemberrot
Fingerabdruck auf der silbernen Kragenspange von Kreismüllers Jacke konnte ihm eindeutig zugeordnet werden, jedoch gaben seine Frau und die vorwitzige Nachbarin zu Protokoll, dass er an besagtem Abend das Haus nicht mehr verlassen hatte.
Nach und nach rückte nun die Familie des Mordopfers immer mehr in den Fokus der polizeilichen Recherchen. Doch selbst bei der von Hauptkommissar Schuster angestrengten Hausdurchsuchung des Kreismüller-Anwesens, fand sich weder ein Beweis für die Schuld eines oder mehrerer Familienmitglieder, noch wurde man der Mordwaffe habhaft.
Im Übrigen wurde der ominöse Hammer auch weder bei den zeitgleichen Untersuchungen des Maier-Hofes, noch in Justus’ Wohnhauses aufgespürt. Dem armen Justus als Wellers Favoriten konnte ebenfalls nichts nachgewiesen werden. Denn dessen Schwester Klärchen lag in besagter Woche mit einer dicken Grippe im Bett. Die Ärmste war so krank, dass am späten Donnerstagabend aufgrund von hohem Fieber der Hausarzt noch einmal zu ihr gerufen werden musste. Und dieser gab bei seiner Vernehmung an, dass ihr Bruder die ganze Zeit über nicht von ihrer Seite gewichen sei.
Völlig ausgeschlossen wurde die abstruse Variante, ein längst Verschollener sei bei Nacht und Nebel wieder aufgetaucht und habe späte Rache an seinem Nebenbuhler geübt, wie Maria mit dem Brief ihres ersten Mannes angedeutet hatte. Kaum jemand im Ort mochte den Kreismüller. Manche hassten ihn gar.
Fritz kam Rosis merkwürdiger Gefühlsausbruch, als sie mit den Pferden unterwegs waren, ständig in den Sinn. Sie war wohl diejenige, welche augenscheinlich am wenigsten über das vorzeitige Ableben ihres Stiefvaters bestürzt war und phasenweise sogar den Eindruck regelrechter Erleichterung versprühte. Doch glücklicherweise, wie Weller fand, hatte auch sie durch ihre Arbeit in der Dorfkneipe ein wasserdichtes Alibi vorzuweisen. Mal abgesehen von den offiziellen Terminen wie bei den Vernehmungen und der Hausdurchsuchung bekam Fritz Weller sie allerdings nicht mehr zu Gesicht.
Und dabei gab sie sich ihm gegenüber völlig unterkühlt, als sei diese eine Nacht nie geschehen. Zwar zollte Maria ihrem toten Gatten, im Gegensatz zu Rosi, offensichtlich den nötigen Respekt, aber von Liebe war auch bei ihr nichts zu spüren. Bliebe letztlich nur sein Sohn Manfred, der allem Anschein nach überhaupt noch nicht realisiert hatte, was nun auf ihn zukommt.
Wenn eines der Familienmitglieder Zeichen der Trauer zeigte, so war eigentlich nur er es. Nur konnte Weller nicht abschätzen, ob sie wirklich dem tragischen Verlust der Vaters galten, oder bloß seiner Furcht vor der eigenen ungewissen Zukunft, wie Rosi so zynisch spekuliert hatte. Wenn Wellers Recherchen an den beiden letzten Tagen wirklich etwas Unerwartetes an den Tag gefördert hatten, so betrafen die neuen Erkenntnisse vor allem ihn selbst. Denn nicht in seinen wildesten Träumen wäre ihm je in den Sinn gekommen, seiner Karin untreu zu werden .
» Wie schnell man sich doch täuschen kann!«
Fritz überlegte zunächst noch hin und her, ob er es seiner Verlobten beichten sollte. Doch er entschied sich, alles für sich zu behalten. Schließlich hatten weder Kollegen, noch Freunde und Bekannte, irgendetwas von seinem nächtlichen Ausritt mitbekommen.
Letztlich wurde der Mordfall Kreismüller einige Monate später als ungelöst abgeschlossen. Alle erfolgsversprechenden Spuren waren im Sande verlaufen und gute Ansätze endeten immer wieder in Sackgassen. Zudem blieb das Tatwerkzeug unauffindbar. Auch tat der Mörder den Polizisten nicht den Gefallen, sich freiwillig zu stellen. Kommissar Fritz Weller empfand dieses Ergebnis als herbe Enttäuschung. Für ihn war es der erste große Rückschlag in seiner bis dahin makellosen beruflichen Karriere. Sein Ehrgeiz, sein Stolz und seine bis zu diesem Zeitpunkt unerschütterliche Wertevorstellung wurden auf harte Belastungsproben gestellt, welche ihn unmissverständlich bis an seine Grenzen und darüber hinaus führten.
Noch Monate später nagte diese Schmach an seinem Selbstbewusstsein. Die Geschichte mit Rosi verbannte er so gut es ging aus seinem Gedächtnis, doch ganz vergessen würde er sie nie. Endlich erreichte Fritz hundemüde gegen halb eins seine kleine Wohnung in Burgstadt. Hungrig aß er schnell ein paar Happen, legte sich anschließend sofort ins Bett und schlief direkt ein. Das Licht des schmutzig grauen Tages stahl sich nach und nach davon, bis es schließlich dem übermächtigen Schwarz der
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