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Novemberrot

Novemberrot

Titel: Novemberrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Theisen
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Nicht auch nur der leiseste Hauch von Verbitterung, von abgrundtiefem Hass ganz zu schweigen, war in ihnen zu sehen. Eine angenehme Wärme umfing Fritz. Selbst die alles durchdringende Novemberkälte war gewichen. Wie von einem plötzlichen Zauber gefangen, schwanden seine Sinne.
    Alle Probleme und Sorgen, die ihn bedrückten, alle Zweifel, die an seiner Seele nagten, waren auf wundersame Weise aus seinen Gedanken verschwunden. Eine schier grenzenlose Erleichterung breitete sich rasch in seinem gepeinigten Körper aus und überlagerte wirkungsvoll alle Schmerzen.
    Obwohl es geschätzt nur eine Minute dauerte, in der sie so Auge in Auge zusammen standen, war es für Fritz wie eine gefühlte Ewigkeit. Langsam öffnete Rosi ihre Hände und ließ ihn los. Wie durch eine mysteriöse Hypnose gesteuert, drehte Fritz sich um, ging die Treppe hinunter und stolperte durch den gepflasterten Hof zu seinem Dienstwagen. Ihm war so, als bewegte er sich in Zeitlupentempo. Alles wirkte so unreal. Mechanisch wie ein Roboter öffnete er die Fahrertür, stieg ein, schloss die Tür, steckte den Zündschlüssel, trat das Kupplungspedal, startete den Motor durch Drehen des Zündschlüssels – der erste Gang war bereits eingelegt – und fuhr langsam aus dem Hof.
    Im Rückspiegel sah er Rosis dunkle Konturen in gleißendem, gelb-rötlichem Licht verschwimmen. Fritz kniff geblendet seine Augen zusammen. Er passierte die monströse Hofmauer. Unbarmherzig vereinnahmte ihn sogleich das widerwärtige, kalte Dunkel der endlosen Nacht. Plötzlich prasselten heftige Schläge und Stöße auf den schleichenden Passat inklusive dessen gedankenversunkenem Insassen ein und schüttelten das Gespann kräftig durch. Die Weller suggerierten Befehle beinhalteten offensichtlich nicht die Inbetriebnahme der Scheinwerfer. So kam er in der nächsten leichten Linkskurve vom geteerten Feldweg ab und eierte ein gutes Stück über die angrenzende, holperige Wiese. Aufgeschreckt bremste Fritz abrupt.
    Da er dummerweise auch nicht angeschnallt war, schlug er mit der Stirn recht unsanft auf das Lenkrad. Tohns Stubbi machte zudem einen Satz vom Beifahrersitz gegen die Klappe des Handschuhfachs, welche daraufhin aufsprang, und landete schließlich polternd auf der Gummimatte im Fußraum. Was war bloß mit ihm geschehen?
    Fritz verharrte für Minuten regungslos am Steuer seines Dienstwagens, denn das Letzte, woran er sich noch reichlich verschwommen erinnern konnte, war Rosis inniger Kuss. Er spürte sogar noch ihre Lippen auf seinem Mund. Wellers Kopf dröhnte wie ein Brummkreisel. Vorsichtig ertasteten seine Fingerspitzen in der Mitte seiner Stirn eine leichte Erhebung. Er knipste die Innenbeleuchtung an, um sich das Malheur im Rückspiegel näher zu betrachten. Sturzbäche von Blut flossen zwar nicht, jedoch schmerzte die errötete Stelle selbst bei der leichtesten Berührung. Wehleidig zischte er dabei: »Das hat mir gerade noch gefehlt. Das gibt sicher ’ne ordentliche Beule.«
    Da erspähten seine müden Augen das Geschenk vom alten Wirt im Fußraum der Beifahrerseite. Fritz hob die kleine Bierflasche sofort auf. Wunderbar kühl lagen ihre angenehmen Rundungen in seiner Hand. Und in Ermangelung eines Kühlakkus drücke er sie vorsichtig, kommentiert von leidenschaftlichen »Aahs« und »Oohs« der Schmerzlinderung, gegen die aufkeimende Schwellung. Hätte jemand im Dunkeln sein Gestöhne gehört, auf den Grund Beule am Kopf wäre der- oder diejenige dabei vermutlich nie gekommen. Als das Glas der Flasche vollständig Wellers Körpertemperatur angenommen hatte, legte er sie sachte auf den Beifahrersitz zurück .
    » Deinen kostbaren Inhalt brauche ich schließlich gleich noch«, murmelte er beschwörend vor sich hin und schmiss anschließend die Klappe des Handschuhfachs mit Schwung zu, welches von selbiger beim Aufprall auf die Umrandung postwendend mit einem blechernen Knall quittiert wurde. Da Weller den Motor bei seiner kurzfristigen Bremseinlage abgewürgt hatte, drehte er den Zündschlüssel erneut um und startete die Kiste. Danach knipste er die Innenbeleuchtung aus und die Scheinwerfer an. Eine dichte Nebelbank hatte inzwischen die Umgebung gnadenlos eingehüllt, sodass die Sichtweite nur geschätzte 50 Meter betrug. Fritz konnte von Glück reden, dass der Untergrund in diesem Bereich der Wiese, trotz des Dauerregens der letzten Tage, erfreulicherweise kaum aufgeweicht war. Und so gelang es ihm recht mühelos, nach diesem unfreiwilligen Intermezzo den Wagen

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