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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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Australien. Da ist es jetzt warm.«
    »Du spinnst ja«, sagte ich.
    Tom schien meine Bemerkung nicht gehört zu haben. Er schloss die Augen und begann mit undeutlicher Stimme von Australien zu erzählen. Wie schön es dort im Sommer sei, wie freundlich die Menschen. Dass man sich beim Baden im Meer vor Haien in Acht nehmen müsse. Dass wir auf einer Farm wohnen würden mit Nachbarn, die so weit entfernt lebten, dass sie am Sonntagnachmittag mit dem Flugzeug zu Besuch kämen.
    Viel wusste er nicht von Australien. Aber einiges schien er aufgeschnappt zu haben, von Jurij vielleicht. So hatte ich Tom jedenfalls nie erlebt. Es war, als erzähle er sich die Geschichten selbst, als habe er mich völlig vergessen.
    »Willst du was trinken?«, fragte ich, als er schwieg. Es war dunkel geworden, sein Gesicht war kaum noch zu erkennen.
    Er nickte.
    Ich kroch zu den Einkaufstüten und brachte ihm eine Flasche Cola. Während er zu trinken begann, befühlte ich seine Stirn. Sie war glühend heiß. »Du hast Fieber«, sagte ich. »Du musst zum Arzt.«
    »Quatsch.« Er packte meinen Arm und zog mich an sich. Sein Atem roch nach Schnaps. »Kein Arzt«, sagte er. »Kapiert?«
    Ich versuchte mich loszumachen. Er hielt mich fest. Kraft hatte er, immer noch. Obwohl er jetzt gegen einen gezielten Karateschlag keine Chance gehabt hätte.
    »Du tust mir weh«, sagte ich.
    Endlich lockerte er den Griff um meinen Arm und ich kroch zu meinem Platz zurück.

9.
    In den nächsten Stunden saßen wir uns nur stumm gegenüber, sagten nichts, bewegten uns kaum. Tom und ich waren wie aus der Welt gefallen. Wir schwebten durch einen dunklen Raum. In einer großen schwarzen Luftblase, die jeden Augenblick zu platzen drohte.
    Ich holte eine Kerze und zündete sie an. Ihr Schein warf flackernde Schatten an die Wände. Tom saß mit halb geöffneten Lidern da und atmete schwer.
    »Es ist vorbei«, sagte ich in die Stille hinein.
    Er reagierte nicht.
    »Wir sind am Ende, Tom«, fuhr ich fort. »Sieh das doch ein.«
    Er reagierte noch immer nicht.
    »Wir haben das Spiel verloren.«
    Jetzt öffnete er die Augen. »Halt die Klappe, Lina.«
    »Was hast du mit Jurij gemacht?«, wollte ich wissen.
    »Er ist abgehauen«, murmelte Tom.
    »Ist er nicht.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Du hast ihn umgebracht.«
    »Du bist ja verrückt!«
    »Als ich geschlafen hab, hast du seine Leiche fortgeschafft«, sagte ich.
    »Und wenn es so gewesen wäre?«, fragte Tom lauernd.
    Statt ihm zu antworten, stand ich auf. »Ich gehe«, sagte ich. »Ich stelle mich.«
    Tom schob sich an der Wand hoch. »Du bleibst hier«, murmelte er.
    »Du kannst mich nicht zwingen«, sagte ich ruhig und stellte mich in Position. Sollte er mich angreifen, würde ich ihn mit einem Tritt gegen den Solarplexus außer Gefecht setzen. Aber wahrscheinlich würde das nicht nötig sein. Tom sah nicht so aus, als könne er einen Kampf auch nur eine Minute durchstehen.
    Mein Entschluss stand fest. Ich wollte nicht mehr. In diesem Augenblick war mir egal, was mit mir passierte. Sollten sie mich doch vor Gericht stellen. Sollten sie mich doch einsperren. Hauptsache, ich kam aus dieser Höhle heraus, aus diesem verfallenen Haus, in dem es nach Tod und Verwesung stank.
    »Ach?«, sagte Tom ironisch und griff in die Tasche seiner Steppjacke. Wollte er mir Geld geben, damit ich bei ihm blieb? Glaubte er wirklich, er könnte mich damit kaufen? Ein kalter Windstoß fuhr durch den Raum. Er jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken und brachte die Kerze auf dem Boden fast zum Erlöschen.
    Als sich die Flamme wieder beruhigt hatte, blickte ich auf einmal in die Mündung einer Pistole, die Tom auf mich gerichtet hielt. Die Waffe glänzte metallisch. Er hatte also doch eine unserer präparierten Wasserpistolen mit in die Sparkasse genommen. Der Kassierer hatte nicht gelogen, Tom hatte ihn und die anderen Angestellten bedroht. Jurij und ich hatten das von draußen nur nicht sehen können.
    »Idiot«, sagte ich und wandte mich zur Tür.
    »Setz dich«, befahl Tom.
    »Idiot!«, wiederholte ich. »Meinst du, ich hab vor einer Wasserpistole Angst?«
    Mit einem Satz war er neben mir. Plötzlich schien er keine Schmerzen mehr zu haben. »Das ist keine Wasserpistole«, sagte er.
    »Ach nee!«
    Tom hob die Waffe mit einer raschen Bewegung über den Kopf und drückte ab. Es gab einen Blitz und fast gleichzeitig einen ohrenbetäubenden Knall. Mir platzte fast das Trommelfell. Kalk rieselte von der Zimmerdecke.
    »Und was war

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