Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
Vom Netzwerk:
gefunden, eine andere Erklärung gab es nicht.
    »Wach auf!«, flüsterte ich zu Tom hinüber.
    Er bewegte lautlos die Lippen und drehte sich zur anderen Seite.
    Ich kroch zu ihm und schüttelte ihn an der Schulter. »Da ist die Polizei!«, flüsterte ich.
    Er schlief weiter. Seine nackten Arme und die schweißnasse Stirn fühlten sich glühend heiß an. Was sollte ich tun? Rauslaufen? Ihnen sagen, dass Tom schwer verletzt sei und dringend einen Arzt brauche? Und wenn sie auf mich schossen? Wenn sich draußen Scharfschützen versteckt hatten, die nur darauf warteten, dass einer von uns die Nase aus der Tür streckte?
    Meine Gedanken wurden vom Knarren der Bohlen in der Küche unterbrochen. Durch den Spalt unter der Tür unserer Kammer kroch ein gelblicher Lichtschein. Auf einmal fühlte ich mich federleicht, in mir war keine Spur mehr von Angst. Gleich würde das, was vor ein paar Wochen in der Hütte im alten Steinbruch als spannendes Spiel begonnen hatte, zu Ende sein.
    Aber die Schritte gingen an unserer Tür vorbei, verloren sich in den leeren Sälen des Ausflugslokals, kehrten zurück und blieben genau vor der Kammer stehen. Ich hielt den Atem an, wagte nicht mich zu rühren. Tom hatte zum Glück aufgehört zu schnarchen.
    »Nur Gerümpel«, hörte ich einen Mann sagen.
    »Verdammter Mist«, sagte eine hellere Männerstimme. »Nichts für uns dabei. Und dafür schlagen wir uns die Nacht um die Ohren.«
    »Anstecken das ganze Gelump«, sagte der erste. »Kanister Benzin drüber und anstecken.«
    »Hast Recht«, sagte der zweite.
    Dann stapften die beiden zur Küche. Wenig später war außer dem Pfeifen des Windes nichts mehr zu hören.
    Ich atmete tief durch, versuchte meinen Puls zu beruhigen. Erst jetzt merkte ich, wie angespannt ich gewesen war. Mein Rücken fühlte sich an wie ein Brett. Das waren bloß Einbrecher gewesen, Kollegen sozusagen.
    »Sind sie weg?«, hörte ich Tom flüstern.
    »Du bist wach?«
    »Ja, die ganze Zeit.«
    »Es waren Einbrecher«, sagte ich mit normaler Stimme. »Wie geht’s dir?«
    »Mir ist kalt.«
    Bis auf einen, den ich für mich behielt, deckte ich alle Vorhänge über ihn. Ich fror nicht, komisch. Die Fieberhitze, die Toms Körper ausstrahlte, schien den ganzen Raum zu wärmen. »Besser?«, fragte ich.
    »Es ist so dunkel«, sagte er.
    Ich zündete eine Kerze an. Meine Finger waren steif, ich verbrauchte mindestens ein Dutzend Streichhölzer, bevor wir Licht hatten. Toms Gesicht war eingefallen wie bei einem alten Mann, die Augen glänzten fiebrig.
    »Hast du Durst?«, fragte ich.
    Er nickte.
    Ich holte die letzte Flasche Cola aus der Einkaufstüte und setzte sie ihm an den Mund. Er trank so gierig, dass er sich verschluckte und einen Hustenanfall bekam. Aus Toms linkem Mundwinkel lief ein dünner Blutfaden heraus und tropfte auf seinen Pullover.
    »Du musst ins Krankenhaus«, sagte ich.
    Er versuchte zu lächeln. »Ich schaffe das schon«, flüsterte er.
    »Gleich morgen früh bringe ich dich zu einem Arzt«, sagte ich.
    »Tust du nicht«, erwiderte er. »Wir wollen doch nach Australien. Hast du das vergessen?«
    »Gibst du mir die Pistole?«, fragte ich.
    »Warum?«
    »Ich werfe sie weg. Du brauchst sie nicht mehr. Ich bleib bei dir, bis die Geschichte hier vorbei ist.«
    »Wirklich?«
    »Versprochen.«
    Die Waffe lag neben Tom auf dem Boden. Ohne dass er mich daran hinderte, nahm ich sie und ging nach draußen in den Wald. Da warf ich sie weg, fragen Sie mich nicht, wo genau. Schließlich konnte ich in der Dunkelheit kaum die Hand vor Augen sehen. Die Polizei hätte die Pistole eigentlich schon lange finden müssen. Wahrscheinlich sind meine Fingerabdrücke drauf. Das ist schlecht für mich, hab ich Recht?
    Zurück in der Kammer, legte ich mich neben Tom. Gleichgültig, was er getan hatte – jetzt brauchte er mich. Und irgendwie brauchte ich auch ihn. Schließlich gab es nur noch uns beide.
    »Lina?«, murmelte Tom. »Darf ich in deinen Arm?«
    Ich rückte näher zu ihm und er legte seinen Kopf an meine Schulter. So hatten wir oft in der Hütte gekuschelt, früher, vor unserer Flucht. Allerdings hatte ich immer in Toms Arm gelegen, hatte mich dabei warm gefühlt und sicher.
    »Hast du mich mal gemocht?«, fragte Tom in mein Haar hinein.
    »Klar.«
    »Ich meine, so richtig.«
    »Du meinst, ob ich in dich verliebt gewesen bin?«
    »Mhm.«
    Ich strich ihm die nassen Haare aus der Stirn. »War ich, Tom.«
    »Ehrlich?«
    »Ehrlich.«
    »Das Geld«, sagte Tom.
    »Was ist

Weitere Kostenlose Bücher