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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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das?«, fragte Tom.
    Vor meinen Augen tanzten rote Kreise. Ein stechender Brandgeruch drang mir in die Nase. Er kam mir bekannt vor. Hatte es nicht genauso gerochen, als ich von der Raststätte zurückgekommen war?
    »Du bist verrückt«, murmelte ich.
    »Setz dich«, sagte Tom. »Setz dich endlich hin.«
    Ich tat es. Er schleppte sich zu seinem Platz und lehnte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Wand. Die Pistole behielt er in der Hand.
    »Du hast die Leute in der Bank mit dem Ding da bedroht«, sagte ich.
    Tom schüttelte den Kopf. »Hab ich nicht. Der Typ hat mir die Scheine freiwillig gegeben. Ich schwör’s!«
    »Wieso hast du die Pistole überhaupt mitgenommen?«, fragte ich. »Es war doch bloß ein Spiel! Und wo hast du die Waffe her?«
    Auf die letzte Frage ging er nicht ein. »Ich wollte mich verteidigen können«, sagte er nur.
    »Verteidigen?«
    »Im Notfall, weißt du.«
    Er war also von Anfang an davon ausgegangen, dass es ein echter Banküberfall werden könnte, ging es mir durch den Kopf.
    »Du hast uns mit reingerissen, Jurij und mich«, sagte ich.
    Er zuckte die Schultern. »Wenn mir der Typ an der Kasse nicht die Scheine gegeben hätte, wäre gar nichts passiert. Ich wäre rausgegangen und fertig.« Er wischte sich über die Augen. »Wir hätten das Geld in der Hütte teilen sollen und uns trennen«, murmelte er. »Dann hätten es die Bullen schwer, uns zu kriegen.«
    »Geld! Geld!«, schrie ich ihn an. »Immer redest du nur von dem Geld! Das können wir uns sonst wo hinstecken, kapier das doch endlich! Wir sitzen hier fest, in diesem Rattenloch. Jeder Polizist kennt unsere Gesichter. Und du quatschst immer noch von dem Geld!«
    Während ich redete, war Tom in sich zusammengesunken. Der Fleck auf seinem Pullover schien größer geworden zu sein.
    »Was ist mit Jurij?«, rief ich. »Los, sag es mir!«
    Er öffnete die Augen. »Du hasst mich«, sagte er.
    »Ich weiß nicht. Was hast du mit Jurij gemacht?«
    »Jedenfalls magst du mich nicht mehr«, sagte er.
    »Nein.«
    »Wir hatten eine gute Zeit«, sagte er.
    »Was ist mit Jurij?«, rief ich. Die Kerze war fast heruntergebrannt, nur Toms Umrisse waren noch zu erkennen.
    »Er ist tot.«
    Tot? Jurij tot? Bei dem Gedanken brach in mir etwas zusammen, es war ein Gefühl, als fiele ich in einen eiskalten See, als setzte neben meinem Atem auch mein Verstand aus. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ohne eigentlich zu wissen, was ich tat, stürzte ich mich auf Tom und schlug ihn mit aller Kraft ins Gesicht. Immer und immer wieder. Er ließ es geschehen. Er hob nicht einmal die Hände, um sich vor meinen Schlägen zu schützen.
    Irgendwann hatte ich genug. Schwer atmend kroch ich zu meinem Platz zurück. »Jurij war mein bester Freund«, sagte ich, nachdem ich wieder zu Atem gekommen war. »Du hast ihn umgebracht. Was bist du doch für ein verdammtes Schwein, Tom!«
    Er schüttelte den Kopf. »Es war ein Unfall. Ich wollte das nicht«, sagte er leise.
    Eine Zeit lang schwiegen wir. Ich konnte nichts sagen, der Schock saß zu tief. Ich hätte nicht weggehen, hätte die beiden nicht allein lassen dürfen. Wäre ich bei ihnen geblieben, wäre Jurij jetzt noch am Leben.
    Irgendwann begann Tom zu sprechen. Als ich zur Raststätte gegangen war, habe es zwischen ihm und Jurij Streit gegeben, erzählte er. Jurij habe ihn beschimpft, habe ihn Dummkopf genannt und Versager. Dann habe er von mir angefangen, habe Tom beschuldigt, er habe mich ihm ausgespannt. Er liebe mich wirklich, Tom sei bloß ein brutaler Schläger und geiler Bock. Tom wisse gar nicht, was Liebe sei.
    »Da bin ich durchgedreht, hab voll neben mir gestanden«, murmelte Tom und veränderte stöhnend seine Sitzposition. »Ich hab die Pistole rausgeholt und ihm gesagt, er soll endlich die Schnauze halten.«
    Als Jurij die Waffe gesehen habe, sei er total wütend geworden. Trotz seines verletzten Knies habe er sich auf ihn geworfen. Er habe keine Ahnung, sagte Tom, ob Jurij gewusst habe, dass es eine echte Pistole war. Jedenfalls hätten sie miteinander gerungen, Jurij hätte plötzlich unheimliche Kräfte entwickelt. Und da hätten sich zwei Schüsse gelöst. Die Pistole müsse entsichert gewesen sein, er wisse nicht, wie das habe passieren können.
    »Zwei Schüsse?«, fragte ich erstaunt.
    Tom nickte. »Einer traf Jurij. Genau ins Herz.«
    »Und der andere?«
    Wortlos zog Tom seinen Pullover hoch. Sein T-Shirt war zerfetzt, Blut sickerte aus einer klaffenden Wunde.
    Mir wurde schlecht, die Kammer

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