Novizin der Liebe
nutzlos erwiesen. Trauer war ein tückischer Gegner. An den seltenen Tagen, an denen es ihm gelungen war, des Morgens nicht an sie zu denken, hatte die Trauer ihn einfach später überkommen, wenn er nicht dagegen gewappnet war. Also hatte er sich seufzend gestattet, nach dem Aufwachen als Erstes an Gwenn zu denken, denn dies war die Zeit, zu der er jedes Mal erwartete, sie an seiner Seite zu finden.
Einige Tagesanbrüche waren erträglicher als andere. Obgleich es zwei Jahre her war, dass Gwenn auf dem Friedhof von Quimperlé zur letzten Ruhe gebettet worden war, gab es Zeiten, da Adams Trauer so übermächtig war, als sei sie gestern erst gestorben; Zeiten, in denen es unmöglich war, sich vorzustellen, dass er nie wieder in jene lächelnden, liebevoll blickenden Augen sehen würde. Ach Gwenn, dachte er, erleichtert darüber, dass dies offenbar einer jener erträglicheren Morgen sein würde. Heute würde er in der Lage sein, voller Traurigkeit an sie zu denken, doch ohne diesen scharfen Schmerz zu empfinden, der ihn in den ersten Wochen nach ihrem Tod gelähmt und wie eine Lanze durchbohrt hatte.
Adam rieb sich die Arme, um die Durchblutung anzuregen. Sein Magen knurrte erneut. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen. Gwenn war von allen Leiden erlöst – weder Hunger noch Kälte konnten sie quälen –, ganz im Gegensatz zu ihm. Welche trockenen Krumen mochte Mutter Aethelflaeda ihnen wohl zum Frühmahl auftischen?
Zitternd wusch er sich in dem eiskalten, brackigen Wasser, das Maurice in einem Krug ins Gästehaus trug. Dann, nach einer kärglichen Mahlzeit aus Brot und Honig, hinuntergespült mit einem Schluck bitteren Ales, verließ er mit Richard das Gästehaus, um sich für den Ritt nach Winchester und später dann nach Fulford zu rüsten. Sein Magen knurrte noch immer. Das Mohnbrot war köstlich gewesen – ofenwarm und duftend, ganz und gar nicht die trockenen Brocken, die er befürchtet hatte –, doch es hatte nicht genug davon gegeben. Nicht annähernd genug.
Das Tageslicht wurde von Minute zu Minute heller. Ein leichter Frost hatte den Futtertrog der Pferde mit einer dünnen Schicht Raureif überzogen, und der Atem der Ritter glich weißen Nebelwölkchen, als sie zu den Ställen gingen. Adam hob den Blick gen Himmel und bemerkte einige tief hängende Wolken, die zu seiner Erleichterung jedoch keinen Regen zu bringen schienen. Regen war Gift für Kettenhemden, und das seine musste dringend geölt werden. Es war nicht Maurices Schuld. Emma Fulfords überstürzte Flucht hatte ihnen nicht die Zeit gelassen, sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern.
Wo steckt Cecily Fulford, fragte er sich. Sie hätte längst auftauchen müssen. Die Prim, das Morgengebet, würde bald beginnen. Er rief sich ihr Bild in Erinnerung, ihre blauen Augen, ihre Lippen, so rosig und verführerisch, wie die einer Novizin nicht sein durften – nur dass sie stets besorgt mit ihren kleinen weißen Zähnen auf ihnen herumkaute. Besorgt . Wo hatte sie geschlafen? In einer eigenen Zelle? Oder in einem Schlafsaal voller anderer Novizinnen? Hatte sie ebenso gefroren wie er? Hatte sie ihr nächtliches Fasten auch mit frischem Mohnbrot gebrochen?
„Wir können es uns nicht erlauben, bei unserem Ritt durch Winchester irgendein Risiko einzugehen“, sagte Adam, nachdem Maurice ihm beim Anlegen seines Kettenhemdes geholfen hatte. „Ich will keinen Sax zwischen die Rippen bekommen.“
Die Kettenhaube auf dem Kopf, lehnte er sich gegen eine Box und beobachtete, wie Richards Knappe, Geoffrey de Leon, seinem Herrn beim Anlegen des Kettenpanzers behilflich war.
Stroh raschelte unter seinen Füßen. „Ich auch nicht“, brummte Richard, als er endlich mit rotem Kopf aus der Halsöffnung seines Hemdes auftauchte.
Maurice führte die Streitrösser hinaus. Ihre Hufe klapperten laut auf den Steinplatten des Stalls, waren jedoch nur noch dumpf zu hören, sobald sie auf den gestampften Lehmboden des Hofes hinaustraten.
„Maurice?“ Adam lehnte sich aus der Stalltür hinaus ins Freie. „Geh zur Priorin und besorge einen gepolsterten Sattel.“
„Ja, Herr.“
„Und lass dich nicht mit einem Nein abspeisen!“
„Nein, Herr.“
„Leg Flame den Sattel auf, wenn du einen bekommst. Oh, und Maurice …?“
„Ja, Herr?“
„Beauftrage Le Blanc damit, uns unterwegs Rückendeckung zu geben. Du kannst die Vorhut bilden. Falls wir angegriffen werden, dann vermutlich in Winchester.“
Er zog sich in den Stall zurück. Lady Cecily Fulford.
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