Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter
Sie hatte in diesem scheinbar so harmlosen Traum quasi dem Teufel ihre Seele verschrieben, nämlich Nox Eterna ewige Dienerschaft zugesichert.
IV
Februar 2010
Es folgten ruhige Tage, und das war gut so, denn Anne musste sich von ihrer ergebnislosen Verliebtheit lösen und sich neu orientieren. Glücklicherweise nahm ihre Mutter Rücksicht. Zwar war sie in ihrer Jugend nie von einer derartigen Mésalliance
bedroht gewesen, aber wie sich Liebeskummer anfühlt,
wusste sie noch. Annes liebste Gesprächspartnerin war sie dennoch in diesen Tagen nicht, denn ihre Tochter machte sie mit für ihr Unglück verantwortlich – schließlich hatte sie Anne nicht in dieser Angelegenheit unterstützt.
Alan war jetzt wieder häufiger bei Anne zu Besuch, und sie redeten auch hin und wieder – oder besser gesagt, Anne redete und Alan hörte zu. Besser als nichts, dachte Anne, aber sie fand es verwunderlich, dass es ihr so vorkam, als könne Alan jeden ihre Sätze zu Ende führen, wenn sie mitten in ihrer Erzählung abbräche. Dieser Sachverhalt produzierte manchmal merkwürdige, unglaubliche Situationen:
Wenn Anne einen Satz begann: „Gib mir doch bitte mal …“
… so vervollständigte ihn Alan: „… das lateinische Wörterbuch.“
Ohne Fragezeichen. Und er hatte das richtige gesagt.
März 2010
Mit dem ersten Hauch von Frühling verflogen dunkle Gedanken, die Tage wurden länger und die Zeit für ausufernde nächtliche Träume kürzer. Dennoch träumte Anne viel zu oft den falschen Traum, musste sie in mancher Nacht, ohne es zu wollen, die Herrscherin von Nethernox verkörpern oder sie bei ihren frevelhaften Unternehmungen beobachten, aber die Magierin wählte jetzt als Bühne für ihre schändlichen Taten nahezu immer ihr eigenes Reich. Nox ließ Verräter in jeder Weise quälen, beschäftigte neben ihrer Garde der Verdammnis ein Heer von giftigen Spinnen, Eiseskälte verströmenden Nebeldrachen und bissigen Schattenwölfen.
Puck, das Gegenstück zu Annes weißem Haustier, das schwarze Monsterfrettchen, führte eine kleine Armee von seinesgleichen an, flinke, mit scharfen Zähnen bewehrte Wiesel wie Puck selbst, und diese pelzigen Rächer straften kleinere Vergehen wie den Diebstahl von Lebensmitteln oder das unerlaubte Betreten bestimmter Palastbereiche mit bissigen Strafritualen. Die Arme des Kraken Bosheit reichten nicht mehr über die Grenzen der Nacht hinaus, und niemand freute sich mehr darüber als Anne.
Langsam fragte sie sich, ob sie sich die Verbindung zwischen Tag und Traum nur eingebildet hatte, alle vergangenen Ereignisverknüpfungen nur eingebildet gewesen waren. Welche Kräfte auch hätten derartige Wirkungen hervorbringen können?
Zwar schwor ihre Großmutter bei jedem Besuch darauf, dass Geister und Feen an vielen Orten zu finden seien, holte sogar alte Fotografien hervor, auf denen Feen zu sehen sein sollten, die Anne aber nie entdecken konnte oder sie führte Anne zu einem ganz besonderen Baum, unter dem sie bereits Trolle hatte tanzen sehen. Allerdings führte Anne das eher auf den ausschweifenden Genuss alten Sherrys zurück, eine Lieblingstätigkeit ihrer Großmutter.
Für ihre Verwicklungen zog Anne die meist unsichtbaren Naturgeister nicht als Ursache in Betracht. Vielmehr hatte sie die dunklen Energien in ihrer eigenen Person gesucht, ungute Kräfte einer kranken Seele vermutet, die ihre eigene war. Wie sie auch die Situation betrachtete – ihre Zweifel und Befürchtungen blieben.
28. März 2010
Anne hatte Hoffnungen an die Kursfahrt geknüpft. Keine touristischen, auch keine amourösen wie manche ihrer Mitschülerinnen. Anne hoffte, dass sie allein reisen und Nox Eterna ganz zurücklassen könnte, ein Irrtum, wie sich schon in der ersten Nacht herausstellte. Warum auch hätten ausgerechnet die Highlands der Ort sein sollen, an dem sich ihre vertrackte persönliche Konstellation in Luft auflösen würde? Die karge Landschaft im noch kühlen und regnerischen Frühjahr, ein Himmel voller dunkler Wolken und Nächte mit Sturmheulen und Wolkenfetzen vor einem kalten Mond – wie hätte sie sich da von Nox und ihren Traumgebilden lösen können? Nachts war sie Nox Eterna, beherrschte ihr Reich und es schützte sie die Schwarze Garde der Verdammnis.
Tagsüber war Nethernox fern. Es lief das übliche Programm. Wanderungen nach dem gemeinsamen Frühstück, alte Gemäuer, neue Freundschaften, über die es zu reden und die es zu bewerten galt. Es
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