Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter
indem sie aggressive Energie in das Reich Nethernox mitbrachte.
Eine eiskalte Frostnacht lag über Nethernox. Das Mondlicht legte ein kaltes Glitzern auf den hart gefrorenen Boden des weitläufigen Friedhofs. Die Garde der Verdammnis hatte dort ein seltsames Paar aufgegriffen, das die Totenruhe geschändet hatte: ein altes, zahnloses Weib und einen stammelnden Jüngling mit wirrem Blick und ebensolchem Haarschopf. Sie hatten kleine Zettel mit streng verbotenen Zauberformeln auf alle Gräber gelegt, die sich daraufhin geöffnet hatten. Eine Armee von Toten war auferstanden und hatte sich über verschlungene Wege zur Schatzkammer der Burg aufgemacht, dort die Tore gesprengt und das Gold, die Juwelen und Edelsteine geraubt. Eine lange Schlange halb vermoderter Leichen und bleicher Skelette trugen die Schätze außer Landes. Als die Garde den Frevel bemerkt hatte, war schon große Teile des Schatzes verloren, den Nox Eterna in Jahrhunderten zusammengeraubt hatte. Entsprechend groß war ihre Wut, entsprechend furchtbar würde ihre Rache sein.
„Bringt sie in den Wald von Oxna, dort sollen die Riesen sie zerreißen, damit sie fühlen, wie es mich zerrissen hat, als sie mich von meinem Liebsten trennten, von meinem Schatz!“
Harte Hände griffen nach dem jammernden alten Weib, legten es in Ketten. Der Jüngling versuchte zu fliehen, lief aber einer zweiten Welle von Gardisten vor die Lanzen.
„Wartet!“
Von irgendwo zwischen den Grabsteinen kam jetzt ein weinendes Mädchen in einem blauen Kleid gelaufen, warf sich vor Nox Eterna auf die Knie und bat um Gnade. „Auch mich haben sie bestohlen, denn ich bin Teil deines Reiches, aber bitte lass Gnade vor Recht ergehen! Strafe sie mit schwerem Kerker oder schicke sie in die Verbannung, aber schenke ihnen das Leben! Ich werde dir dafür mein Lebtag lang dienen!“
„Wer bist du, dass du mich anzusprechen wagst?“ fragte die Zauberin kalt. Dann bekam ihr Gesicht etwas Nachdenkliches.
„Ich glaube, ich habe dich noch nie gesehen, aber irgendetwas sagt mir, dass ich dich kenne!“
„Ja, ich habe eigentlich kein Recht, dir gegenüber zu treten, denn ich bin nur eine unbedeutende Untertanin und habe im hintersten Winkel deines Imperiums gelebt. Aber ich bin dir treu ergeben und werde dir eines Tages sehr von Nutzen sein können, das weiß ich sicher!“ Anne hasste sich für diese Anbiederei, aber sie musste Tom retten. Auf einem anderen Wege würde sie die Macht und die Wut der Magierin nicht zähmen können.
Nox Eterna schwieg und dachte nach.
„Es ist schön, eine so ergebene Gefolgschaft wie dich zu haben!“ sagte sie schließlich. „Ich will dich dafür belohnen und zugleich diese Verbrecher hier bestrafen. Das alte Weib soll dir für alle Zeiten dienen, so wie du mir für alle Zeiten dienen wirst. Der dreiste Jüngling aber soll in die finsterste Ecken meines Gebietes verbannt werden, auf die Inseln des ewigen Sturms.“
Die Soldaten der Schwarzen Garde führten die Verurteilten fort. Nox Eterna wandte sich Anne zu.
„Ich erweise dir nun eine Gnade, die allen meinen treuen Gefolgsleuten gewährt wird. Du darfst meinen Ring küssen.“ Sie streckte Anne fünf spinnengliedrige Finger mit einem übertrieben großen Ring daran entgegen. Der nachtblaue Stein schien zu leuchten. Anne hob den Kopf und näherte sich dem Ring. Was wird sie noch von dir verlangen, fragte sie sich, und vor allem: welcher Erniedrigung werde ich mich noch feige unterwerfen?
17. Januar 2010
Trotz aller Unterwürfigkeit – Anne war wie von einem Fluch befreit, als sie erwachte. Dieser Traum beschrieb nur den Status quo , verteilte keine neuen Strafen über die im realen Leben hinaus, wenn man einmal von den endlosen Diensten einer Mutter für eine Tochter absah. Tom Shipe hatte zu gehen, aber das war ohnehin der Stand der Dinge, bevor Anne zu träumen begonnen hatte. Hatte sie den Traum manipuliert?
Auf jeden Fall konnte sie sicher sein, dass weder Ambulanzen noch Psychiater tätig werden mussten, weil sie geträumt hatte. Außerdem war sie froh, dass ihre ohnehin nicht tragfähige Beziehung zu Tom ein Ende gefunden hatte, wenn auch ein schmerzhaftes, und keinen neuen Verwicklungen mehr erzeugte. War es überhaupt so etwas wie eine Beziehung gewesen? Eigentlich nur eine kurze, schöne, aussichtslose Schwärmerei.
Was in diesem Augenblick noch nicht ganz einsichtig war, sollte sie erst ein paar Tage später bemerken:
Weitere Kostenlose Bücher