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Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter

Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter

Titel: Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damian Raye
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blass und hilflos in einem Bett der Intensivstation, trug eine Sauerstoffmaske. Schläuche führten zu Maschinen, die ihn am Leben erhielten. Anne nahm seine Hand, hielt sie fest, saß eine lange Weile neben ihm.
     
    „Alan, lieber Alan, das wollte ich nicht“, hörte sie sich sagen, „ich entschuldige mich tausend Mal für meine kleinliche Eifersucht und das furchtbare Unglück, das ich verursacht habe.“
     
    Sie hatte irgendwo gehört, dass bewusstlose Kranke jedes Wort verstehen könnten, und so hoffte sie, dass sie Alan erreicht hatte. Als sie ein Krankenpfleger aus dem Zimmer schickte, legte sie ihren Heimweg zurück, ohne irgendetwas bewusst wahrzunehmen. Sie hatte sich innerlich verschlossen, hatte ihre Empfindungen tiefgefroren, ihre Seele eingekapselt, denn sie wusste, dass die Gefühle, die sie zurückhielt, sie sonst zerreißen würden.
     
    Der Besuch im Krankenhaus fand am Abend seine Entsprechung im Traum.
     
    Alan lag in einem Krankenzimmer mit bis zur Decke reichenden, hohen Rundbogenfenstern, Fenster wie in einer Kathedrale, deren Glas sich langsam rosa und dann rot einfärbte, bis alles in blutrotes Licht getaucht war. Ein Ring schwarze Kerzen umgrenzte sein Bett. Eine Krankenschwester trat lautlos ein, schwebte eher als dass sie lief, ihre Haube verdeckte ihr Gesicht. Sie trat an Alans Bett, beugte sich über ihn, hob dann die Arme wie zu einer Beschwörung. Sie flüsterte etwas. Der Patient wand sich unter ihr, versuchte offenbar, trotz seiner schweren Verletzungen zu fliehen, ruderte mit den Armen, riss den Mund auf wie zu einem Schrei und erstarrte dann mitten in der Bewegung. Die Krankenschwester wandte sich zu Anne um – es war Nox. Steht ihr gut, die Tracht einer Krankenschwester, dachte Anne idiotischer Weise, wie sie selber fand.
     
    Lapidarius sit!
     
    Sei aus Stein! Das waren die Worte, die sie eben an Alans Bett geflüstert hatte, und der Fluch, der nun auch Anne erfasste. Sie spürte nach und nach ihre Hände nicht mehr, ihre Arme, ihren ganzen Körper. Sie konnte ihren Kopf nicht mehr bewegen, musste starr geradeaus sehen auf die furchtbare Magierin, deren Bild aber langsam verblasste, im gleichen Maße, in dem ihre Augen ihre Klarheit verloren und zu funktionslosen Murmeln aus Marmor wurden. So fühlte es sich also an, wenn man zu Stein wurde.
     
    Lapis fugit!
     
    dachte Anne und wachte auf.
     
7. September 2010
    Hatte Pfarrer Liffles etwas geahnt? Ihm wurden viele Verbindungen nachgesagt. Silly berichtete Anne, dass er in der Morgenpredigt über unsere Verantwortung für die Menschen gesprochen hatte, die wir liebten, und dass es auch zu dieser Verantwortung gehöre, Krisen und Konflikte mit den Mitteln der Liebe auszutragen und auf Gewalt zu verzichten. Anne bedauerte in diesem Augenblick fast, dass sie nicht zu den Kirchgängern gehörte, dass sie die All Saints Church immer nur von außen gesehen hatte. Bei dieser Predigt wäre sie gerne dabei gewesen, hätte jede Regung auf Pfarrer Liffles’ Gesicht lesen können. Aber woher konnte er etwas wissen?
     
    Silly meinte zwar, dass der Pfarrer vielleicht Sven Dolis gemeint haben könnte, der immer wieder seine Frau schlug, aber irgendetwas sagte Anne, dass der Kirchenmann sie im Visier hatte. Warum mischte er sich da ein, der alte Trottel? Sollte er sich doch um seine baufällige Kirche und um diejenigen in seiner Gemeinde kümmern, die bald der Teufel holen würde! Nicht nur Anne war der Meinung, dass er sich nicht genug für das Gotteshaus einsetzte.
     
    Den ganzen Nachmittag über konnte Anne keinen klaren Gedanken fassen. Immer wieder versuchte sie nach möglichen Verbindungen zwischen ihrem aggressiven Traum und der Wirklichkeit eines Pfarrers in einer Kleinstadt in Südengland.
     
    Hatte sie mit irgendjemand über diesen Traum geredet?
     
    Silly?
     
    Am Abend nach Alans Unfall hatte sie sich bei ihr ausgeheult. Was hatte sie gesagt, was für sich behalten? Konnte sie jetzt schon nicht einmal mehr ihre Zunge kontrollieren? Nein, sie war sich sicher, sie hatte geschwiegen wie ein Grab. Zumindest hatte sie sich das geschworen, denn sie wusste, was geschehen konnte, wenn jemand von ihrer seltsamen Befähigung erfuhr.
     
    Ein weiterer Besuch bei Alan machte ihre Selbstzweifel noch gegenwärtiger. Er war bereits aufgewacht, mehr noch, es schien ihm wieder einigermaßen gut zu gehen. Zumindest lächelte er, als er Anne sah und versuchte mit ihr zu scherzen, obwohl es ihm noch sehr schwer fiel zu sprechen. Mit jedem

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