Nr. 799 (German Edition)
Gefahr .« Sie sagte das in einem herablassenden Tonfall, doch das war der erste Moment, in dem sie mir wirklich sympathisch war.
Ich stand von meinem Stuhl auf, nahm meinen Teller vom Tisch und beschloss, zu David zu gehen und mich zu entschuldigen. Ich hoffte wirklich, dass er mir verzieh.
Doch im selben Moment begann wieder dieses bescheuerte Läuten, das die Komplett-Innen-und-Außen-Untersuchungen ankündigte. Ehe ich mich versah, hatten alle ihre Plätze verlassen und strömten zur Tür.
Ich blieb stehen und wartete, um irgendeinen Weg zu David zu finden. Aber als ich auf seinen Platz blickte, war er weg.
»Ach Mist«, murmelte ich und zerknüllte das Taschentuch auf meinem Teller.
Dann musste ich also später noch mal so viel Mut aufbringen. Ob ich das hinkriegen würde?
Wir standen alle ordentlich eingereiht auf dem Korridor vor dem Untersuchungszimmer, in dem ich an meinem ersten Tag Doktor Aurelian P. kennengelernt hatte. Das flackernde Licht der Neonröhren ließ mich die Augen zusammenkneifen, während ich das Geschehen skeptisch beobachtete. Wir trugen unsere blassblauen Kittel, musterten uns gegenseitig leicht besorgt und fragten uns insgeheim, bei wem es das nächste Mal länger dauern würde.
Denn einige der Schüler entließ der Arzt innerhalb von wenigen Sekunden, bei anderen jedoch dauerte seine Untersuchung ewig lange. Was wohl der Grund dafür war?
Ich scharrte mit den Stiefeln und sah zu David, der am anderen Ende der Reihe stand. Ich überlegte mir, ob ich ihm zuwinken sollte. Doch das kam selbst mir erbärmlich vor.
Hm, der Typ hatte mich wirklich im Griff. So unsicher hatte ich mich – so glaubte ich – noch nie gefühlt.
»Was wird der Herr Doktor mit uns machen?«, fragte Mia mich leise. »Ich hasse Spritzen.«
»Ich auch«, pflichtete ich ihr bei. »Aber du brauchst keine Angst zu haben. Vielleicht lässt er dich ganz schnell gehen.«
Sie nickte und flüsterte: »Ja, das hoff' ich.«
Als wieder jemand im Untersuchungszimmer verschwand, gingen wir drei Schritte weiter. Der Korridor leerte sich allmählich. Wir waren bald an der Reihe. Hinter uns standen noch etwa fünfzehn Personen.
»Gehst du zuerst – oder soll ich?«, fragte ich Mia, die mit verängstigtem Gesichtsausdruck an ihren Fingernägeln knabberte. »Du brauchst dich echt nicht zu fürchten. Er ist wirklich ... schräg, aber nett. Keine Sorge.«
»Kannst du nicht mit reingehen?«, bat sie mich, nachdem sie ihre Hand gesenkt hatte.
»Hm.« Ich dachte darüber nach. Wenn sie sich wirklich so sehr fürchtete, war es vielleicht eine gute Idee, wenn ich sie begleitete. »Ich weiß nicht, ob das erlaubt ist.«
Doch als wir ein paar Minuten später dran waren, begann Mia zu wiederholen: »Bitte, Hanna. Bitte, bitte, bitte.« Sie zerrte an meinem Ellenbogen und sah mich voller Furcht an. »Bitte, komm mit. Lass mich nicht alleine dahin. Bitte.«
»In Ordnung.« Ich nickte und strich ihr beruhigend über den Kopf. Da merkte ich, dass ihre Haare total verschwitzt waren. Und sie glühte. »Warte, was ist denn? Hast du Fieber?«
Sie zuckte mit den Schultern und begann wieder auf ihren Fingernägeln zu kauen.
Gemeinsam betraten wir das Untersuchungszimmer von Doktor Aurelian P., der hinter seinem unordentlichen Schreibtisch hockte und gerade seine Brille am Kittel abwischte.
»Sehe ich da zwei? Oder sind das nur meine Augen?« Er runzelte die Stirn und setzte seine Brille auf.
Die Geräte in seinem Zimmer blinkten auf, als wir die Tür hinter uns zufallen ließen. Sie kamen zu uns gefahren und wirkten verwirrt, denn sie wussten nicht, wen sie zuerst anstrahlen sollten.
»Hm, kann bitte eine von Ihnen das Zimmer verlassen und draußen warten? So geht das hier nicht. Zweifreundschaftsuntersuchungen mach ich nämlich nicht.« Er stand auf und kam auf uns zu, woraufhin Mia leise aufschrie, weil sie in seiner Kitteltasche eine Spritze entdeckte. Sie klammerte sich an mir fest, damit ich nicht hinausging.
»Wir gehen nirgendwohin«, erwiderte ich entschieden. »Ich bleibe bei ihr. Sie fürchtet sich. Und sie hat Fieber.«
»Fieber?« Doktor Aurelian P. kratzte sich am Bart und wirkte plötzlich interessiert. Er ignorierte meine Anwesenheit und hockte sich auf den Boden, um Mia die Hand auf die Stirn zu legen.
Das Mädchen hielt mich noch fester und wimmerte.
»Hm«, machte der Arzt leise, »Sie haben Recht, Hanna – so hießen Sie doch, oder?«
Ich nickte und wartete, bis er Mia weiter untersucht hatte. Er hielt ein
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